: Alles Schnellläufer – aber wie?
In den letzten Jahren gab es ein Modell-Projekt: Besonders lernbegabte Schüler sollten als „Schnellläufer“ das Abi nach zwölf Jahren schaffen. Den Sprung schafften nur wenige. Jetzt sollen alle Gymnasiasten zu „Schnellläufern“ werden
Seit drei Jahren gibt es in Bremen Schnellläufer-Klassen, zum Beispiel am „Alten Gymnasium“. Der Modellversuch sah vor, dass besondere 5. Klassen gebildet werden und am Ende der 5. Klasse von Lehrern und Eltern gemeinsam entschieden wird, ob die Kinder „geeignet“ sind, die 6. Klasse zu überspringen. Etwa die Hälfte der „Schnellläufer“ des ersten Jahrgangs am AG haben den Sprung gewagt, die anderen gehen in eine „normale“ Gymnasial-Klasse. Die Springer sind jetzt in der 8. Klasse und müssen den Vergleich ihrer Leistungen mit „normalen“ 8. Klassen, die ein Jahr früher begonnen haben, nicht scheuen. Ob sich das Modell „Schnellläufer“ bewährt hat, kann man noch nicht sagen, meint die Mittelstufen-Koordinatorin am Alten Gymnasium, Renate Albler, solange keiner der Kinder beim Abitur angelangt ist. Aber in den letzten drei Schuljahren hat das Modell „gut funktioniert wegen der Zusammensetzung der Klassen“.
Im nächsten Jahr wird es den Modellversuch nicht mehr geben. Alle 10-jährigen Schüler, die nach der vierten Klasse Grundschule in einen gymnasialen Bildungsgang gehen, sollen nach 12 Jahren Abitur machen können. „Das ist aber etwas ganz anderes“, sagt die Lehrerin Albler. Denn der Erfolg der Schnellläufer-Klassen hat spezifische Gründe: Für die Klassen galten nur die besonders Lernwilligen als geeignet, die neugierigen, zielstrebigen Lerner. „Deswegen hat man keine Zeitverluste“, sagt die Lehrerin. Entscheidend für die Lernfähigkeit seien Persönlichkeitsmerkmale der Schüler.
Das Modell ist nicht auf alle mit Gymnasial-Empfehlung übertragbar, sagt auch Stefan Michael, stellvertretender Schulleiter des Schulzentrums Findorff. Für die Schnellläufer-Klassen wurden die Kinder, die erst mit einem hohen Lerntempo richtig gefordert werden, „abgegriffen und zufrieden gestellt“, formuliert er das pädagogische Prinzip. An seinem Schulzentrum gibt es eine Schnellläufer-Klasse und sieben normale Orientierungsstufen-Klassen. Nach zweieinhalb Jahren Schnellläufer-Pädagogik ist die achte Klasse sogar „auf der Überholspur“ im Vergleich mit normalen Gymnasial-Klassen im 8. Jahrgang, hat also mehr als ein Jahr aufgeholt.
Das Lerntempo kann man nicht übertragen, auch wenn man die bisherigen Orientierungsstufen-Klassen aufteilt in Gymnasial- und Sekundarschul-Klassen. Denn auch die Gymnasial-Klassen werden „extrem heterogen“ sein, erwartet Michael, zumal unklar ist, wie sehr sich die Eltern nach der Empfehlung der Grundschule richten. Und solche Empfehlungen erwiesen sich oft auch als Fehlprognosen.
Wie also soll der Lehrplan für die neuen verkürzten Bildungsgänge aussehen? Das Curriculum ist nicht das Problem, findet Renate Albler vom AG. Denn „Lernen geschieht sprunghaft und unterschiedlich“, ein Curriculum ist nur der Versuch, das kreative Durcheinander des Lernens in den Köpfen von außen mit einem Maßstab zu versehen. Das Niveau der Schüler am AG lag immer deutlich über dem, was die Planungs-Hilfe „Curriculum“ als Mindest-Anforderung vorgeschrieben hat. Für die Schnellläufer wurden keine neuen Lehrpläne entwickelt, es wurde nur Zeit bei Wiederholungsphasen gespart, das Erlernen von Arbeitsmethoden geht schneller.
Insbesondere wenn in den neuen Gy-Klassen viele Schüler sind, die aus gutem Grund keine Gy-Empfehlung haben, geht das nicht, sagt Michael vom Schulzentrum Findorff. Gleichzeitig wäre er strikt gegen eine weitere „Entmischung“ zum Beginn der 5. Klasse, weil das die „soziale Koppelung“ verschärfen würde: Kinder ohne bildungsbürgerlichen familiären Hintergrund hätten noch weniger Chancen als heute, in einen gymnasialen Bildungsgang hineinzukommen.
Die neuen Lehrpläne sollen also einerseits – wie das angebrochene Schnellläufer-Experiment – ein Abitur nach 12 Jahren ermöglichen. Andererseits sollen die Gy-Schüler den „Sekundarklassen“ zumindest bis zum Ende der 6. Klasse nicht davonlaufen, um die „Durchlässigkeit“ zu gewährleisten. Geht das? „Da bin ich gespannt“, sagt Lehrerin Albler skeptisch. Die Behörde plane, die 5. und 6. Jahrgangsstufe – anders als bei den Schnellläufern „in Ruhe zu lassen“, weiß Stefan Michael. Zum Ausgleich soll das erste Jahr der Oberstufe in die Verkürzung einbezogen werden, die Oberstufe wird also – anders als bei dem bisherigen Modell – „angeknabbert“. Das sei vielen verantwortlichen Oberstufen-Lehrern bisher vermutlich nicht so klar, vermutet Michael. Und wie es gehen soll, ohne das System der Leistungskurse und die Vorbereitung auf das Abitur zu kappen, sei auch unklar. Insbesondere nehmen neue Rahmen-Lehrpläne seit einiger Zeit nur neue Inhalte – etwa Informatik – auf, ohne an anderer Stelle etwas zu streichen. Da bleibt eigentlich kein Spielraum, auch noch etwas aus der Mittelstufe nachzuholen.
Thomas Bethge vom „Landesinstitut Schule“ ist vom Amts wegen mit der Erarbeitung der neuen Lehrpläne beschäftigt. Bildungspläne aus Hamburg habe man als Vorlage genommen, sagt er. „Viele Einzelheiten sind noch nicht festgelegt“, insbesondere die Stundentafeln nicht. Wenigstens für die Kernfächer sollen die neuen Bremer Pläne bis Ostern fertig sein. Bei gleichem Stoffplan für die 5. und 6. Klasse soll es für Sekundar- und Gymnasial-Klassen unterschiedliche „Vertiefungsmöglichkeiten“ geben.
Ob die „Durchlässigkeit“ nach oben nach der 6. Klasse – also aus der Sekundarschule ohne Vertiefung in die Gymnasialklasse – dann viel mehr als eine theoretische Möglichkeit ist, „das muss die Praxis zeigen“, sagt Bethge.
Klaus Wolschner