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Archiv-Artikel

Lost in Space

Im Panorama: Robert Lepages Spielfilm „La face cachée de la lune“ ist eine Liebeserklärung an das Verlierertum

Auf der erdabgewandten Seite des Mondes sind fast alle Krater und Täler nach sowjetischen Kosmonauten und Wissenschaftlern benannt. Ein unfreiwillig prophetischer Akt – als hätten die Russen bereits geahnt, dass sämtliche Triumphe schon bald wieder im Dunkel des Vergessens versinken werden. Philippe kennt all diese Namen. Überhaupt scheint er sich im Kosmos besser zurechtzufinden als im Alltag seiner Heimatstadt Quebec.

Philippe werkelt an einer kruden Dissertation, in deren Zentrum der Weltraumpionier Ziolkowski steht. Er hat weder Frau noch Kinder. Sein einziger sozialer Kontakt besteht zu seinem schwulen und erfolgreichen Bruder André. Das All bleibt ihm der konkreteste Fixpunkt: Mit der VHS-Kamera seiner Eltern beginnt er, einen Film für Außerirdische zu drehen. Als der sowjetische Exkosmonaut Alexej Leonow in Quebec eine Ausstellung mit kitschigen Kosmosgemälden eröffnet, sieht Philippe seine Chance gekommen. Er überreicht das Manuskript seiner Dissertation und wird wenig später tatsächlich zu einer Konferenz nach Moskau eingeladen. Aber auch diese Exkursion mündet in ein Desaster.

Robert Lepage spielt in „La face cachée de la Lune“ nicht nur den liebenswerten Verlierer Philippe, sondern auch dessen Gegenentwurf André. Und er tut dies überaus differenziert, mit vielen kleinen gestischen und mimischen Details, die eine äußerliche Unterscheidung durch Frisur und Kleidung eigentlich überflüssig machen. Formal reproduziert sich der inhaltliche Wechsel zwischen universaler Projektion und erdrückender Erdenschwere in einem fließenden Ineinandergreifen makro- und mikrokosmischer Bildlösungen.

Wenn Lepage von der bleichen Mondscheibe auf eine sich drehende Waschmaschinentrommel überblendet, kehrt er das berühmte Kaffeetassenmotiv aus Godards „2 oder 3 Dinge, die ich von ihr weiß“ um. Das All stürzt in die Banalität, die Freiheit der Abstraktion schrumpft zur Demütigung trivialer Verrichtung. Aber irgendwie geht es immer weiter. CLAUS LÖSER

Sonntag, 19 Uhr, Zoo Palast, Samstag, 14. 2., 20 Uhr, Cinemaxx 7