: Das Ziel ist nicht der beste Weg
Viele Firmen treffen mit ihren Mitarbeitern Zielvereinbarungen und belohnen deren Einhaltung mit einer Prämie. Im Alltag demotiviert dieses Führungsinstrument häufig, statt anzuspornen – unter anderem, weil die Vereinbarungen oft gar keine sind
VON MARTINA JANNING
Ina B. ist nervös. Sie muss zum Abteilungsleiter. Ihre Beurteilung und die Ziele fürs neue Geschäftsjahr stehen an. So geht es gerade vielen, denn Zielvereinbarungen sind in. Auch immer mehr kleine Unternehmen arbeiten damit. Die Idee: Mitarbeiter in die strategischen Überlegungen einbeziehen, sie ihren Arbeitsbereich selbst steuern lassen, ihre Persönlichkeit und Ressourcen besser nutzen und sie dadurch motivieren. Bei Plansollerfüllung winkt meist eine Prämie. Was in der Theorie mehr Arbeitsfreude verspricht, sieht in der Praxis aber oft anders aus.
„Zielvereinbarungen sind in den meisten Fällen keine Vereinbarungen. Vielmehr geben Unternehmen ihren Mitarbeitern Ziele vor“, sagt Ralf Brinkmann, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Fachhochschule Heidelberg. „Ein Aushandeln, also ein Geben und Nehmen, findet in der Praxis selten statt. Beide Seiten, Führungskraft und Mitarbeiter, sind meist ungeübt im Verhandeln.“ Der Grund: Führungskräfte sind oft nicht im Vereinbaren von Zielen geschult.
„Dieses Instrument wird oft rein intuitiv eingesetzt“, hat Martin Sinell, Geschäftsführer von CoachPlus, festgestellt. „Als Erstes stellt sich jedoch die Frage: Was will ein Unternehmen damit erreichen? Darüber existieren oft uneinheitliche Bilder bis hin zu der Vorstellung, die Mitarbeiter in die Zange zu nehmen oder Schuldige für Fehlentwicklungen zu finden“, berichtet der Unternehmensberater. „In solchen Fällen sind Zielvereinbarungen unsinnig. Denn wie es in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“ Die Folge: Mitarbeiter empfinden das Prozedere als Gängelung. „Es muss einen gemeinsamen Nenner zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern geben, sonst fühlt sich der Arbeitnehmer fremdgesteuert, die Möglichkeit, zu motivieren, wird vertan“, sagt Sinell.
Meist aber liegt der Teufel im Detail: bei den Zielen selbst. „Oft gibt es nur vage Vorgaben, in welchem Bereich, mit welchen Mitteln zum Beispiel mehr Umsatz erzielt werden soll“, berichtet Brinkmann. „Eine Zielvereinbarung kommt in vielen Fällen nicht nach objektiven Kriterien zustande, sondern es entscheiden Machtverhältnisse. Die Mitarbeiter werden allein gelassen nach dem Motto: Wie du das erreichst, ist deine Sache.“ Doch die Aufgabe von Führungskräften sei es, Mitarbeiter durch Ziele zu „fordern, sie aber auch zu fördern, indem sie Hilfestellung auf dem Weg dorthin geben“.
Ziele müssen transparent und erreichbar sein. Dazu gehört auch, dass es nicht zu viele sind. Drei bis vier gelten bei Experten als realistisch. Ein neues Projekt anbahnen, den Umsatz steigern, etwas schneller bearbeiten oder Kunden zufriedener machen – das sind gängige Vorhaben. Was in der Regel fehlt: die persönlichen Ziele des Mitarbeiters. „Wohin ich mich entwickeln möchte, wie ich Kompetenzen ausbauen kann und wie mich die Firma dabei unterstützt, das hat mich mein Abteilungsleiter noch nie gefragt“, resümiert Ina B. Doch das gehört ebenfalls in eine Zielvereinbarung. Da heißt es für Arbeitnehmer: vorbereitet sein. Schließlich kommt die Zielvereinbarung in die Personalakte.
Mehr Gerechtigkeit statt subjektiv gefärbter Bewertungen durch Vorgesetzte ist ein Anliegen dieser Vereinbarungen. Im Alltag führen sie allerdings häufig zu stärker empfundener Ungerechtigkeit. „Oft gibt es in Betrieben zwei Klassen von Mitarbeitern. Die Ziele der einen sind klar messbar, die der anderen nicht“, sagt Professor Brinkmann. „Jemand, der in der Verwaltung arbeitet, hat wahrscheinlich eher globale Kriterien, während jemand im Vertrieb nach seinen Umsätzen beurteilt wird.“
Besonders kritisch wird es, wenn das Erreichen der Ziele mit Geld belohnt wird – nicht nur weil globale und konkrete Kriterien nicht gleich gut zu messen sind. In Zeiten von Teamarbeit ist der Einzelne auf das Mittun anderer Abteilungen und Kollegen angewiesen. Oft soll er steuern, worauf er keinen Einfluss hat. Gift fürs Betriebsklima, wenn sich Mitarbeiter gegenseitig gängeln, um vereinbarte Ziele erfüllen zu können. Bekommt der eine schließlich einen Bonus, die andere aber nicht, wird eine Vereinbarung kontraproduktiv: Sie spornt nicht an, sondern demotiviert. „Ich gebe immer den Rat, Zielvereinbarung und Bonusausschüttungen zu trennen“, sagt Sinell. „Besser ist es, sich nicht auf individuelle Leistungen, sondern auf den Unternehmenserfolg zu beziehen und variable Anteile an alle auszuschütten. Letztlich haben Zielvereinbarung und variable Bezahlung nichts miteinander zu tun.“
Durchdachte, gut umgesetzte Zielvereinbarungen können ein Betriebsklima verbessern, glauben Experten. Der Königsweg sind sie jedoch nicht. Gibt es außer dem jährlichen Feedback und einen neuen Schriftstück keine regelmäßige, ernsthafte und verbindliche Kommunikation zwischen Chef und Mitarbeitern, nützen auch Zielvereinbarungen nichts.