: Mindestens Solitäre, immer Werke, selten Pop
Was nach den jüngsten personellen Querelen etwas in Vergessenheit geriet: Im Suhrkamp-Verlag erscheinen auch Bücher. Ein Inspektion des Suhrkamp-Frühjahrsprogramms
Martin Walser hält sich noch bedeckt. Sein neuer Roman ist zwar schon länger fertig und soll im Juni veröffentlicht werden. Aber ob das bei Suhrkamp geschieht, seinem Stammverlag seit den Fünfzigern, oder doch woanders, diese Frage harrt weiter einer Antwort und dürfte die inzwischen hochgradig klatsch- und skandalerprobte Literaturöffentlichkeit wieder in Wallung versetzen. Denn der Name Walser fiel häufig im Zusammenhang mit den Turbulenzen beim Suhrkamp-Verlag, nachdem Verlagsleiter Günter Berg erst den Machtkampf gegen die Unseld-Witwe Ulla Berkéwicz und dann seinen Job verloren hatte. Gerade Berg war es, der sich im Gegensatz zu Berkéwicz in der Auseinandersetzung um den „Tod eines Kritikers“ fest hinter Walser gestellt hatte. Berg arbeitet demnächst bei Hoffmann und Campe, was Spekulationen um Walser und seinen möglichen Weggang neuen Auftrieb gibt.
Was jedoch in den vielen Folgen der Suhrkamp-Saga oft genug aus dem Bild fiel: Der Verlag veröffentlicht weiterhin Bücher. Vermessen wäre es nun, das Suhrkamp-Frühjahrsprogramm auf Spuren interner Querelen zu untersuchen oder hier schon erste entscheidende verlegerische Großtaten von Ulla Berkéwicz-Unseld erkennen zu wollen. Dafür ist die Zeit zu kurz – die Planung für ein Programm dauert meist ein Jahr, kurzfristige, aber wenige Änderungen inklusive.
Interessant ist aber zu sehen, ob das neue Programm der aufmerksamen Erregung gerecht wird, die die Vorgänge bei Suhrkamp nicht nur in den Feuilletons fand. Ob also die neuen Bücher genauso in der großen Suhrkamp-Tradition stehen, wie sie ein Versprechen auf die Zukunft sind. Literarisch, intellektuell, wirtschaftlich und im Hinblick darauf, Stadtgespräch auch in Szenen jenseits der Hochkultur zu sein.
War es im letzten Sommer Norbert Gstreins Jugoslawienkriegsroman „Das Handwerk des Tötens“, der seine Versprechung, ein Spitzentitel zu sein, einlöste, so ist es dieses Mal Christoph Heins „Landnahme“: der Muss-Roman eines langjährigen Suhrkamp-Autors, kurz nach Veröffentlichung Ende Januar flächendeckend besprochen, zum Teil als ultimativer Deutschlandroman gefeiert (und nebenbei ein Beweis dafür, dass sich die Literaturkritik auch mit anderen Büchern als noch nicht veröffentlichten Skandalbüchern zu beschäftigen weiß). „Landnahme“, das eine Startauflage von 50.000 hat, könnte sogar enorm ertragreich werden: Am Montag steht Hein mit seinem Roman in der Spiegel-Bestseller-Liste auf Rang 13. Und demnächst geht er mit Richard v. Weizsäcker auf Lesetour – ein dritter Staatsdichter nach Walser und Grünbein bei Suhrkamp?
Blättert man nun weiter, entsteht der Eindruck: interessant, aber nicht zwingend. Bücher, die sich entwickeln wollen, die von Dauer sein sollen, die entdeckt werden wollen, vielleicht aber nie entdeckt werden. Literatur ohne Haltbarkeitsdatum. Soignierte Gediegenheit, die im Gegensatz zu den Kabalen der jüngsten Vergangenheit steht. Also: kein neuer, junger Amerikaner, der flott erzählen kann, keine Reißer, Schnelldreher und Kunkels. Sondern Autoren, von denen nicht geflüstert wird: unbedingt lesen!, ganz groß!, und die eher in Literaturzirkeln bekannt sind. So finden sich Anne Weber mit ihrem vierten Buch „Besuch bei Zerberus“, die Schweizerin Gertrud Leutenegger, seit Mitte der Achtzigerjahre bei Suhrkamp, oder der Österreicher Doron Rabinovici mit dem Roman „Ohnehin“, seiner fünften Suhrkamp-Veröffentlichung. Es regiert die alte Unseld-Regel, Werke zu verlegen, nicht einzelne Bücher, Autoren behutsam aufzubauen und ihnen treu zu bleiben, nicht schnellstmöglich und mit viel Gewinn zu verheizen. Weiter gibt es Gedichtbände etwa von Albert Ostermeier und der jungen Silke Scheuermann, einen Roman von Vargas Llosa oder das Buch des unbekannten französischen Schriftstellers Pierre Michon, solcherart angepriesen: „Seit Proust, Perec oder Simon hat kein französischer Dichter ein solches Zwiegespräch mit sich selbst und einen solchen Dialog mit der Literatur geführt.“
Bei Suhrkamp kann man schon zu Lebzeiten ein Klassiker werden. Oder man ist mindestens ein „Solitär“ in der Literatur seines Landes wie der Brasilianer Raduan Nassar. Es versteht sich, dass dem Verlag in der Klassikerpflege niemand was vormacht und der Backkatalog auch dieses Programm mitgestaltet: Briefwechsel von Uwe Johnson mit Hannah Arendt, von Paul Celan mit Ilana Shmueli, die erste kommentierte Ausgabe des „Ulysses“ anlässlich des 100. Jahrestags des „Bloomsday“ am 16. Juni, und, ein Höhepunkt: der Beginn der Herausgabe der Gesammelten Werke von Siegfried Kracauer.
Das ist alles wunderbar, aber eben retro. Weniger wunderbar sind die vergeblichen Anstrengungen, den Anschluss an die Pop-Gegenwart oder zumindest eine jüngere Generation zu finden. So gelingt es seit Jahren nicht, neue, junge AutorInnen in die Spur des ehernen, schon klassischen Popliteratur-Trios Meinecke-Neumeister-Goetz zu setzen. Zuletzt wollte Jamal Tuschicks Jugend- und Provinzroman „Bis zum Ende der B-Seite“ nicht wirklich überzeugen. Auch die Verpflichtung des Kollossale-Jugend- und Brüllen-Musikers Kristof Schreuf war kein Glücksgriff. Dessen für Dezember in der Edition Suhrkamp angekündigter Roman „Anfänger beim Rocken“ wird noch lektoriert, und sein Erscheinen ist auf unbestimmte Zeit verschoben.
Fragt sich, ob es anderen jungen Autoren wie Christian Uetz, Johannes Jansen, Christian Lehnert oder Jochen Neumeyer allein schon hilft, Suhrkamp-Autoren zu sein – in der Edition Suhrkamp scheinen sie oft zu verschwinden oder höchstens die Nachhut zu bilden für die Großen im Hauptprogramm. Da wären zusätzliche Promotion-Investitionen nicht das Schlechteste. Aber womöglich braucht es dafür eben mehrere Carlos Ruiz Zafóns, die dank gütiger Unterstützung Elke Heidenreichs 200.000-mal über die Ladentische gehen (wie stolz vermeldet Suhrkamp diese Zahl!). Oder eben den Verbleib von Martin Walser. Dieser wäre nicht nur aus Reputationsgründen wichtig, sondern dessen Bücher verkaufen sich auch mehr als passabel.
GERRIT BARTELS