die klassenfolterer von hildesheim : Zero Tolerance in Niedersachsen
Die 16- und 17-Jährigen Berufsschüler, die in Hildesheim einen Klassenkameraden monatelang gefoltert haben (taz von gestern), gehören nicht zu den Gewinnern. Und auch nicht gerade zu den Schlauesten
In ihren Vernehmungen konnten weder die vier Haupttäter von Hildesheim noch die anderen sieben vernommenen Klassenkameraden ein verständliches Motiv für ihre 17 Wochen andauernden Taten nennen. Das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ), das die Klasse absolviert, muss man in Niedersachsen besuchen, wenn man noch minderjährig und schulpflichtig ist und weder Ausbildungsplatz noch Hauptschulabschluss hat. An der betroffenen Werner-von-Siemens-Berufsschule sind das ganze 34 der 1.700 Schüler. Dass das Opfer Bomberjacke und Springerstiefel trug, mag mit Anlass für die Taten gewesen sein, bei denen eine Gruppe von Einwandererkindern führend war. Es kann aber keineswegs als Motiv gelten.
Die Taten der Klasse stehen ganz offensichtlich für Verrohung, exzessive Schadenfreude, gedankenlosen Sadismus und den Verlust jeglichen Normengerüstes. Aber damit liegen die Schüler im Trend. Der Unterschicht-Sender RTL war gerade mit einer Show erfolgreich, in der sich „Prominente“ quälen und durch den Dreck ziehen ließen.
Auch Teile der Videoaufnahmen, die bei den Torturen des 17-Jährigen gemacht wurden, waren schnell bei Privatsendern zu bewundern oder auch auf einer Zeitungs-Homepage anzuklicken. Der Verkauf der Videobilder setze „die Quälerei eines Mitschülers fort“, sagte der niedersächsische Kultusminister Bernd Busemann (CDU) – erwähnte aber die Käufer mit keinem Wort.
Niedersachsen startet jetzt übrigens kein Programm, um jungen Losern doch noch eine Berufschance zu geben. Dafür müssen alle Schulen ein „Sicherheitskonzept“ erarbeiten, Videokameras in den Lehranstalten werden erlaubt. Der in Hildesheim für Jugend zuständige Oberstaatsanwalt, Albrecht Stange, ist grade aus New York zurück, wo er sich vom Konzept der „Zero Tolerance“ inspirieren ließ. Man solle nicht alles übernehmen, aber erfolgreich sei die Gewaltbekämpfung in New York schon, schwärmt er. JÜRGEN VOGES