: Klare Konzepte sind gefragt
betr.: „Die Stunde der Exekutive“ (In Zeiten von Angst und Verunsicherung ist erfahrungsgemäß Führung gefragt. Junge Pazifisten feiern den Kanzler als ihr Idol) von Dieter Rulff, taz vom 29. 3. 03
Selten wurden Kategorien und Gruppierungen, Positionen und Relationen so gründlich durcheinander gewirbelt, um der gängigen Unsitte zu frönen, schlecht getarnt eine Meinung zur Entdeckung eines gesellschaftlichen Phänomens zu erheben. Der Autor vermengt die traditionell-pazifistischen Teile der gegenwärtigen Antikriegsbewegung mit den logisch regierungsfreundlichen SPD- und Grünen-Anhängern, die zusammen, sieht man einmal von den nationalkonservativen Kriegsgegnern ab, schon die gesamte aktuelle Bewegung in Deutschland ausmachen.
In Zeiten von Angst und Verunsicherung haben sich weltweit Demonstranten formiert, auch und gerade um der jeweils eigenen Regierung in die Suppe zu spucken. Dass dies in Deutschland wesentlich anders sein soll, ist nachgerade unwahrscheinlich. Wer gegenwärtig die Suche nach dem starken Mann, der die gespaltene Gesellschaft zusammenführen könnte, ausgerechnet in der Friedensbewegung suggeriert, analysiert erstens an der personellen Zusammensetzung der Demonstrationen vorbei und darf sich zweitens als Kritiker feiern, der nicht unwesentlich zum Aufkommen des kritisierten Gegenstandes beiträgt.
Zwischen der nackten Kriegsangst, die einen nicht unerheblichen Teil der Menschen treibt, und der „Verteidigung nationaler Interessen“ gegen die der US-Amerikaner, die sicherlich auch Regierungsanhänger motiviert, klafft eine erstaunlich große Lücke. Ein Großteil der Menschen, die auf den mir bekannten Kundgebungen gegen amerikanisch-britische Aggressionen wettern, haben in der Regel eine deftige Kritik an den gegenwärtigen Verhältnissen bezüglich Staatsverschuldung, Sozialabbau und Deregulierung hier in der Tasche respektive auf ihren Flugblättern und Transparenten – nur eben nicht jetzt in genau diesem Moment.
Dass angesichts einer fehlenden Perspektive oder Utopie viele Menschen oft nicht so recht wissen, wo, bei welcher Gelegenheit und mit welchen Forderungen sie gegen diese Zumutungen ihre Stimme erheben sollen, lässt keineswegs den Schluss zu, dass Schröder die aktuellen Stimmungen selbst geschaffen haben könnte. Dass die Menschen auf der Straße oftmals gewitzter sind als die Kommentatoren in den Schreibstuben, zeigt sich umgekehrt darin, dass sie – „zufällig“ neben der exportorientierten Industrie – den Kanzler und seine Partei genötigt haben, schon seit den letzten Wahlen zum Bundestag sich gegen den Krieg zu positionieren, wollte er ihr ohnehin minimales Vertrauen nicht vollkommen verspielen. Wo allerdings darüber hinausgehende Substanz oder Kompetenz vermisst wird, was in den Landtags- und Kommunalwahlen seit dieser Zeit deutlich wurde, musste des Kanzlers Partei deutlich Federn lassen. Und das, obwohl die Alternative keineswegs besser eingeschätzt wird. Die Leute wollen weniger den großen Anführer als klare Konzepte und verständliche Erklärungen. Den Mangel daran haben sie längst erkannt. Und nebenbei: der deutsche Sitz im Sicherheitsrat der UN ist keineswegs mit einem Veto ausgestattet. MICHAEL KLEIN
Ich habe auf den Demonstrationen, an denen ich seit Beschluss dieses Krieges teilgenommen habe, keinen/keine FriedensaktivistIn getroffen, der oder die den deutschen Kanzler als ihr Idol gefeiert hätte. Wenn Sie sich auf den letzten Friedensprotestaktionen wie zum Beispiel in Berlin oder Düsseldorf ein wenig umgesehen hätten, wäre Ihnen aufgefallen, dass die Hauptforderung der ProtestantInnen „Stoppt die Überflugrechte der USA“ und „Stoppt die Nutzung der US-Militärbasen in Deutschland“ ist, anstatt hinter der Bundesregierung zu stehen und den Kanzler als „Che Guerhardt“ zu feiern. […] Im Gegensatz zur völligen Abwesenheit in den 90er-Jahren haben wir zurzeit die größte Friedensbewegung in der Geschichte Deutschlands, und es ist doch schon erstaunlich, dass so viele Jugendliche für ihre Interessen auf die Straße gehen, wo sie doch sonst immer als desinteressierte und computerfixierte Jugendliche dargestellt wurden. Dieser Aspekt wird aber auch in Ihrem Artikel kaum gewürdigt. Stattdessen müssen wir uns vorwerfen lassen, den Bundeskanzler zu verherrlichen anstatt ihn für seine Rentenpolitik zu ohrfeigen. Halten Sie uns wirklich für so doof, dass wir diesen Aspekt der Politik Schröders nicht erkannt hätten? […] Das Nein der Bundesregierung zum Irakkrieg ist kein pazifistisches, sondern von wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen geprägtes Nein, und das wissen die meisten FriedensaktivistInnen auch. Zurzeit können wir uns ganz gut selbst führen und organisieren, dazu brauchen wir keinen G. Schröder. […] SOPHIE KUNERT, 15, Neukirchen-Vluyn
Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.