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Archiv-Artikel

Falsche Tierfreunde

Hohe Haftstrafen für Vorstände des Tierhilfswerks, die in den 90er-Jahren 30 Millionen Euro Spenden stahlen

MÜNCHEN taz ■ Hunderttausende von Tierfreunden in ganz Deutschland waren die Dummen. Völlig arglos zahlten sie ihre Mitgliedsbeiträge an das Deutsche und das Europäische Tierhilfswerk. Aber das Geld half fast nur dessen Chef Wolfgang Ullrich. Er zweigte von 1994 bis 1998 über ein kompliziertes Geflecht von Scheinfirmen fast 63 Millionen Mark (rund 31 Millionen Euro) für sich und seinen Komplizen ab.

Dafür schickte das Landgericht München den 59-Jährigen gestern wegen Untreue für zwölf Jahre ins Gefängnis. Das Vorstandsmitglied Eduard Baumann und Ullrichs Steuerberater wurden zu Haftstrafen von achteinhalb Jahren beziehungsweise vier Jahren verurteilt.

Der Vorsitzende Richter begründete das strenge Urteil vor allem damit, dass die drei Angeklagten die Gutgläubigkeit von Tierfreunden ausgenutzt hätten. Nur ein geringer Teil sei dem Tierschutz zu Gute gekommen. Die Verteidiger hatten jeweils auf Freispruch plädiert, weil auch andere Vereine mit Mitglieds- und Spendengeldern so umgingen wie die drei Angeklagten. Ullrichs Anwältin will nun Revision beantragen.

In dem Mammutprozess, der sich fast zwei Jahre hinzog, rollte die Wirtschaftsstrafkammer einen der größten Schwindel eines wohltätigen Vereins in der Bundesrepublik auf. Bevor Ullrich 1994 von seiner Mutter den Vorsitz des Deutschen Tierhilfswerks übernahm, habe er „im Drückermilieu unter anderem für den Bertelsmann Verlag und die Deutsche Flugambulanz Erfahrungen gesammelt“, betonte Richter Walter Weitmann.

Mindestens 54,2 Millionen Mark aus beiden Tierhilfswerken flossen auf sein Konto, mehr als ein Viertel der Vereinseinnahmen. Sein Vorstandskollege Baumann steckte sechs Millionen Mark in die eigene Tasche.

Das Verfahren gegen den Vereinsboss kam erst in Gang, nachdem seine Verschwendungssucht dem Polizeichef im thailändischen Badeort Pattaya aufgefallen war. Dort lebte Ullrich in Saus und Braus, bis er für ein Jahr in Auslieferungshaft genommen wurde, was ihm das Gericht als zwei Jahre anrechnet.

Das Deutsche Tierhilfswerk verlor nach dem Skandal 70.000 ihrer einst 300.000 Mitglieder. Über das Urteil zeigte es sich hocherfreut. „Wir werden von dem Drama nun Abstand gewinnen und wieder einen Fuß in die Tür kriegen“, sagte Geschäftsführer Ulrich Laudick der taz. Der Verein arbeite heute erfolgreich mit knapp 200 Tierschutzeinrichtungen in ganz Deutschland zusammen. Weiterhin strebt er nicht die Gemeinnützigkeit an, lässt aber nach eigenen Angaben sein Geschäft freiwillig von einem externen Wirtschaftsprüfer kontrollieren.

Der Deutsche Tierschutzbund, der mit dem Hilfswerk nichts zu tun hat, begrüßte das Urteil. Es könne aber den „moralischen Schaden“ nicht aufwiegen, der auch den Tierschutzbund getroffen habe, sagte ein Sprecher. OLIVER HINZ