: Ein Gardist kann nicht zurück
aus Amman KARIM EL-GAWHARY
Die Worte klingen standesgemäß für einen ehemaligen Offizier der Republikanischen Garden. „Wenn jemand in mein Haus eindringt und mir meine Sachen wegnehmen will, werde ich nicht herumstehen. Entweder bringe ich den Eindringling um oder er tötet mich. So einfach ist das.“
Jamal Abul Karim Razaq, 45 Jahre alt, hat über 15 Jahre lang in Saddam Husseins Elitetruppe gedient. Zuletzt war er Oberstleutnant und gehörte auch der regierenden Baath-Partei an. Kein Wunder also, dass er aufgebracht vom „dreckigen Krieg der Amerikaner“ spricht und davon, dass man im Westen nicht die Psychologie der Iraker verstehe, die die Amerikaner nicht als Befreier, sondern als Besatzer sähen. Wie sonst soll ein Mann reden, der sich jahrelang als Rädchen des Regimes drehte? Doch Razaq kann man nicht vorwerfen, dass er aus alter Treue seinen ehemaligen obersten Befehlshaber verteidigt. Denn er hasst Saddam Hussein, weil der sein Leben und das seiner Familie ruiniert hat.
Sein Bruch mit dem Regime begann in den letzten chaotischen Tagen des Golfkrieges 1991 mit zwei Entscheidungen, die sein Leben und das seiner Familie radikal verändern sollten. Zunächst lehnte er es ab, desertierende Soldaten zu exekutieren, und kurz darauf verweigerte er bei einem Aufstand der Schiiten den Befehl, auf Zivilisten zu schießen. Razaq wurde selber zum Opfer des Regimes, tauchte unter und floh später mit seiner Familie nach Syrien und lebt jetzt seit fünf Jahren in Jordanien. „Auf einem Abstellgleis“, wie er es beschreibt.
Er zeigt sein Fotoalbum von den Zeiten aus Bagdad, als er zwei Häuser im „Viertel der Offiziere“ und ein japanisches Auto besaß. Fotos von Reisen nach Europa etwa nach Lausanne oder Genf sind dort ebenfalls eingeklebt. Heute lebt die Familie in einem Außenbezirk in Amman in einer fast leeren, bescheidenen Zweizimmerwohnung. Als Flüchtlinge haben die Behörden sie nie anerkannt. Damit blieben den Söhnen, dem elfjährigen Yussuf und dem fünfjährigen Yassin, die staatlichen jordanischen Schulen verschlossen. Seine Frau Iman, eine irakische Chemikerin, unterrichtet sie zu Hause.
Razaq arbeitet illegal in einer privaten Telefonzentrale, er verdient kaum genug, um seine Familie über Wasser zu halten. Schon seit Jahren beteuern er und seine Frau Iman, sie hätten nur eine Zukunft – und die liege in der Rückkehr in einen Irak ohne Saddam Hussein. Ansonsten müssten sie im Exil von aller Welt vergessen weiterleben, „lebendig begraben“. Aber selbst diese verzweifelte Familie will nichts von der amerikanischen Befreiung wissen, wie sie George W. Bush verkündet. „Mit ist ganz elend, eine Balance zu finden, zwischen unserem persönlichen Wohl, das sich nur ohne Saddam Hussein verwirklichen lässt, und dem Wohl der irakischen Nation“, sagt Razaq.
Er und Iman hätten einige Nächte diskutiert, während der Fernseher lief und furchtbare Fernsehbilder aus ihrer Heimat zeigte. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es nicht um Saddam Hussein, sondern um unseren Irak, den Euphrat, Tigris, die Datteln des Landes und dessen Sonne geht, die verteidigt werden müssen“, erklärt er. Saddam Hussein sei ein Mörder und ein Krimineller, der sein Land in viele Kriege getrieben habe. „Ich wünschte, wir könnten ihn loswerden, aber so nicht.“ Razaq macht eine Pause: „Ich würde gerne selber zurückgehen und mein Land verteidigen, aber ich kann nicht, weil ich dort von dem Regime als Verräter exekutiert würde.“
So hofft er jetzt im weit entfernten Amman, dass seine ehemaligen Kampfgefährten bei den Republikanischen Garden möglichst lange gegen die Amerikaner durchhalten. „Die Deutschen haben im Russlandfeldzug erfürchtig über ‚General Winter‘ gesprochen. Die Amerikaner werden bald den irakischen Sommer kennen lernen, und der hat einen höheren Rang als ein General“, sagt er.
Dass die Republikanischen Garden im Süden eine Bevölkerung, die eigentlich gerne zu den Amerikanern überlaufen möchte, als Geiseln halten, sei Quatsch, echauffiert sich Razaq. Er selbst war 1991 zusammen mit mehreren Einheiten der Republikanischen Garden in Basra stationiert. „Als sich die Schiiten dort zum Aufstand erhoben, konnte sie niemand aufhalten und damals war die Präsenz der Garden in der Stadt wesentlich stärker als heute“, erinnert er sich. Doch wenn es gegen die Amerikaner geht, glaubt Razaq immer noch fest an die Kampfkraft seiner alten Truppe. „Jetzt erzählen die Amerikaner wieder, dass sie durch ihre Bombardierungen rund um Bagdad die Republikanischen Garden dezimieren.“ Er habe 1991 eine Weile den Auftrag gehabt, den einzelnen Luftabwehrbatterien Befehle vom Hauptquartier in Basra zu überbringen, und sei daher in dieser Zeit viel herumgekommen. „Sie haben uns damals 30 Tage lang bombardiert. Ich habe die Verluste gesehen. Die waren nicht höher als fünf Prozent. Die Garden haben hervorragende Methoden, bei den Bombardements Deckung zu finden und zu überleben.“
Erst als damals Saddam Husseins Order zum ungedeckten Rückzug kam, seien die Soldaten aus der Luft abgeschossen worden. Bisher seien die Republikanischen Garden rund um Bagdad eingegraben, und egal wie sehr die Amerikaner bombardierten, „sie werden ihr blaues Wunder erleben, wenn sie sich mit ihren Bodentruppen Bagdad nähern“. Der ehemalige Offizier sagt das mit einer Mischung aus Hoffnung und Stolz.
Jamal und Iman Razaq haben sich auch Gedanken darüber gemacht, ob es noch einen Ausweg gibt. Es müsste einen Waffenstillstand geben, erklärt der Mann. Dann müssten die Truppen von UN-Soldaten getrennt und freie Wahlen mit UN-Beobachtern abgehalten werden. Dafür sollten sich Kandidaten zur Verfügung stellen, die weder mit Saddam Hussein noch mit den US-Amerikanern in Verbindung stünden. „Leute mit Leidenschaft für ihre Heimat, Intelligenz und friedlichen Zielen. Wir wollen keinen Irak, der Cruise-Missiles baut.“
Doch er fürchtet, dass von solchen Konzepten derzeit niemand etwas wissen will. Schrecklich, so sagt er, sei es auch, dass ausgerechnet Saddam Hussein jetzt bei vielen in der arabischen Welt zum Helden oder gar zur Legende werde, als jener Mann, der sich gegen die stärkste Nation der Welt zur Wehr gesetzt habe.
„Wir hätten mehr Zeit gebraucht, um ihn loszuwerden“, sagt Razaq über den Diktator. Stattdessen werde jetzt alles zerstört. Wenn das Ganze vorbei ist, sagt er, „müssen wir nicht bei null, sondern im Minusbereich anfangen“. Friedliche Zeiten werde der Irak jedenfalls erst einmal nicht erleben. „Vielleicht werden die Amerikaner das Land kontrollieren, nachdem sie tausende Iraker umgebracht haben“, sagt Razaq – „aber das nur für eine kurze Zeit.“