: Wozu hat Gott ihnen eine Zunge gegeben?
Damit sie schweigen und keine Miene verziehen: In Elia Suleimans Spielfilm „Göttliche Intervention“ schlägt die Ausdruckslosigkeit der Figuren in Expressivität um. Arabischer Sarkasmus, jüdischer Humor und christliche Ironie vermischen sich dabei – und Allmachtsfantasien kommen auch hinzu
von BARBARA SCHWEIZERHOF
„Göttliche Intervention“, dem der Ruf vorauseilt, bitter und komisch zugleich zu sein, hat das Glück, zur richtigen Zeit ins Kino zu kommen. Von allen startenden Filmen der Woche scheint er der „aktuellste“, obwohl er doch schon vor fast einem Jahr in Cannes Premiere hatte. Und das gar nicht in erster Linie, weil wir wissen, dass der palästinensisch-israelische Konflikt zu jenen gehört, deren Lösung durch den gegenwärtigen Krieg in besonders weite Ferne gerückt wird. Nein, vielmehr weil er verspricht, dass er uns zum Lachen bringt über etwas, was so ernst ist wie die Lage der Palästinenser in Israel. Nur unverbesserliche Kulturpessimisten halten das für Vergnügungssucht. Allen Benimmregeln zum Trotz kann Humor manchmal die angemessene Reaktion sein auf eine aussichtslose Lage. Darüber hinaus sind Filme, die der Tragik der realen Verhältnisse eine komische Seite abgewinnen, an Vielschichtigkeit und Differenziertheit anderen Genres oft überlegen.
Auf den ersten Blick erscheint Suleimans Film tatsächlich ein wenig wie eine kabarettistische Nummernrevue: Ein Mann fährt allein im Auto eine Straße hinunter. Freundlich hebt er für seine Bekannten, an denen er vorbeikommt, die Hand zum Gruß – sie können nicht hören, dass er sie gleichzeitig mit immer neuen obszönen Flüchen beschimpft. Ein anderer Mann wirft seinen Müll statt in die Tonne in Nachbars Garten. Ein dritter reißt wieder und wieder dieselbe Stelle einer Straßenkurve auf, sodass seine Nachbarn im Schlagloch hängen bleiben. Ein vierter klingelt bei ihm, um augenblicklich auf ihn einzuschlagen. Und das alles fast wortlos. Es muss mit dem von Henri Bergson beschriebenen Effekt zu tun haben, wenn Menschliches in Mechanisches umschlägt: Fast gegen den eigenen Willen lacht man über den Starrsinn der unsinnigen Handlungen. Über die unangemessene Inbrunst, mit der ein Mann den auf sein Grundstück gefallenen Fußball mit einem Messer traktiert. Über die Sturheit, mit der jemand an einer Bushaltestelle wartet, obwohl kein Bus mehr fährt.
Eine „Chronik von Liebe und Schmerz“ hat Regisseur Elia Suleiman seinen Film im Untertitel genannt, aber was die geschilderte Serie anbelangt, handelt es sich eher um eine Chronik der Niederträchtigkeiten. Es ist der Ort der Handlung, der all diesen unschönen Alltäglichkeiten eine besondere Dimension verleiht. Auf sehr eigene Weise bringt Suleiman mit der ersten Szene des Films in Erinnerung, dass wir uns im „Heiligen Land“ befinden: Ein Weihnachtsmann in voller Montur – mit weißem Bart, rotem Mantel und Geschenkekorb auf dem Rücken – hetzt einen Hügel hinauf, verfolgt von einer kleinen Schar Jugendlicher. Oben bei den Resten eines Tempels oder einer Kirche angelangt, wird er eingeholt. Als er sich umdreht, erkennt man ein Messer in seiner Brust. Er bricht zusammen. „Nazareth“ verrät der Untertitel. Man könnte dieses Bild deuten als Aussage darüber, wie weit sich die christliche Religion von ihrem Ursprung entfernt hat. Oder aber einfach lachen über die groteske Deplatziertheit der westlichen Weihnachtsikone in der Heimat Christi.
Auch wenn diese erste Szene in Dramaturgie und Atmosphäre eher so wirkt, als versuche ein Schuldner seinen mafiösen Geldeintreibern zu entkommen, ist damit klargestellt, dass hier die dritte große Weltreligion aus dem Israel-Palästina-Konflikt einmal nicht herausgehalten wird. Die „Chronik von Liebe und Schmerz“ nämlich entpuppt sich mehr und mehr als karnevalisierte Passionsgeschichte – in der skandalöserweise eine palästinensische Frau die Rolle des Erlösers einnimmt. Eine der letzten Filmsequenzen zeigt sie im Kampf mit einem Trupp israelischer Soldaten. Mit den Raum und Zeit beherrschenden Künsten der asiatischen martial arts erhebt sie sich in die Lüfte; das Gesicht mit einem Palästinensertuch verhüllt, lenkt sie Schläge ab und Kugeln um – bis diese für einen Moment um ihren Kopf kreisen wie eine Dornenkrone, während sie in der Haltung von Jesus am Kreuz über den Soldaten schwebt. Nicht allen behagt dieses Bild – will er die Israelis als Christusmörder denunzieren? –, aber es zeigt in seiner flirrenden Uneindeutigkeit die Auflösung und Durchmischung von Kategorien wie jüdischem Humor, arabischem Sarkasmus oder etwa christlicher Ironie, die Suleiman betreibt. Der Witz steckt schließlich darin, dass die eben zur großen Dulderin Stilisierte im nächsten Moment keineswegs die Wange hinhält, sondern kräftig austeilt und den Soldaten den Garaus macht.
Wo jeder Stock und jeder Stein der Interpretation dreier großer Religionen unterliegt, geht es in der territorialen Auseinandersetzung immer zugleich um Deutungshoheit und Identität. Weshalb den gezeigten Nachbarschaftsquerelen in „Göttliche Intervention“ etwas Biblisches zukommt. Im Besonderen spiegelt sich das Allgemeine: In der Verbissenheit, mit der die Einzelnen ihren Privatgarten, ihre Privatgarage, ihr eigenes Grundstück verteidigen, während sie das der anderen demonstrativ missachten, tritt deutlich hervor, was sich auf politischer Ebene in großem Maßstab abspielt.
Die Exzentrik solchen Verhaltens, in dem Agieren und Reflektieren die Verbindung zueinander verloren haben, ist komödiantischer Rohstoff, den Suleiman fast unbearbeitet präsentiert. In diesen Szenen behält die Kamera stets eine distanzierte Beobachterposition. Nüchtern registriert sie, wie eines Tages die Müllsäcke wieder zurückgeworfen werden in den Hof, aus dem sie stammen. Augenblicklich kommt der Mann herunter, um sich zu beschweren. „Was wirfst du den Müll in meinen Hof?“ „Es ist dein Müll, Nachbar“, bekommt er als Antwort. „Das gehört sich trotzdem nicht, du hättest mit mir zuerst darüber sprechen können, wozu hat Gott uns eine Zunge gegeben!“
Der Film würde schnell langweilig, wenn zu diesen sketchartigen Miniaturen nicht noch anderes Material hinzukäme. Da sind zum einen die Clip-Sequenzen, in denen Suleiman mit Discobeat unterfüttert seinen Ermächtigungsfantasien freien Lauf lässt und die Verhältnisse zum Tanzen bringt – wie das erwähnte Martial-arts-Ballett mit einer Palästinenserin und sechs israelischen Soldaten. Und zum anderen ziehen sich fast unmerklich zwei Erzählstränge durch, in denen der Regisseur sozusagen Herzblut zeigt und die dem Ganzen den Anschein des Leichtfertigen nehmen.
Der grüßend fluchende Mann im Auto nämlich entpuppt sich als der Vater des Erzählers. Wie sich bald zeigt, hat seine schlechte Laune einen Grund. In wiederkehrenden Einstellungen sieht man ihn die Post sortieren – Rechnungen öffnet er gar nicht mehr. Dann kommen die Gerichtsvollzieher, sein Werkzeug und sein Auto werden gepfändet. Eines Tages kippt er um, muss ins Krankenhaus. Sein Sohn besucht ihn. Stumm sitzen sie für einen Moment zusammen. „Vater stirbt“, gibt wenig später ein Zwischentitel bekannt.
Genauso wortlos, wenn auch noch geheimnisvoller, spielt sich die zweite durchgängige Geschichte ab. E. S., von Elia Suleiman selbst gespielt, den der Zuschauer trotz notorischer Stummheit als Erzähler ansieht, wohnt in Jerusalem und hat eine Geliebte im besetzten Gebiet. Auf dem Parkplatz hinter dem Checkpoint treffen sie sich. Sie steigt zu ihm ins Auto; während sie den Soldaten zuschauen, liebkosen sich ihre Hände. Mehr als eine Grenze, die sie nicht passieren kann, scheint zwischen ihnen zu liegen. Eines Tages bläst er einen Luftballon mit Arafats Porträt auf und lässt ihn steigen. Unbeirrbar macht der sich auf nach Jerusalem, vorbei an den übernervösen Grenzsoldaten, die hektisch mit ihren Vorgesetzten telefonieren, geradewegs zum Felsendom. Solchermaßen im Schatten der Ereignisse, die der grinsende Ballon auslöst, kann auch das Paar die Grenze passieren. Doch in Jerusalem sieht man nach dem Rendezvous die Frau schließlich tonlos seine Wohnung verlassen. Ab da sitzt er alleine am Checkpoint, wie süchtig nach dem Anblick der kleinen Schikanen, die sich hier täglich ereignen.
Was sich aus dieser „Chronik von Liebe und Schmerz“ so nachhaltig ins Gedächtnis eingräbt, sind die regungslosen Gesichter der Hauptpersonen. Auch das ist ein bewährtes komisches Verfahren – als „Dead Pan“ mit dem Gesicht von Buster Keaton zum Begriff geworden. Je länger man diesen Film betrachtet, desto mehr schlägt die Ausdruckslosigkeit jedoch in Expressivität um. Schmerzlich beim Vater, melancholisch beim Erzähler – und mit atemberaubender Wirkung bei der Frau. Gleich mehrmals führt Suleiman vor, wie ein Blick von ihr genügt, um die Welt um sie herum in wahrhaft prophetische Furcht und Schrecken zu versetzen. Es ist ihre ganz eigene Kriegstechnik des „Shock and Awe“, deren Wirkung uns Zuschauern komischerweise Erleichterung verschafft.
„Göttliche Intervention – Eine Chronik von Liebe und Schmerz“. Regie: Elia Suleiman. Mit Elia Suleiman, Manal Khader u. a. Frankreich/Palästina 2002, 92 Minuten