: Angst in der Megacity
In Hongkong sind die Menschen verunsichert: Was schützt sie vor dem gefährlichen SARS-Virus?
aus Hongkong SUSANNE WYCISK
Die Straßen Hongkongs sind wie leer gefegt, Friedensdemonstrationen gegen den Irakkrieg werden abgesagt, der tägliche Einkauf wird auf das Nötigste reduziert, und die sonst übervollen und von lautem Stimmengewirr geprägten Dim-Sum-Restaurants klagen über schleppende Geschäfte. Alles wegen SARS, des „schweren akuten respiratorischen Syndroms“, das in Hongkong grassiert.
Die Menschen sind verunsichert, scheint die Ausbreitung des Virus doch noch lange nicht unter Kontrolle zu sein. Das zeigen die täglich drastisch steigenden Infektionszahlen. Am Dienstagabend wurden 237 Bewohner eines 36-stöckigen Hochhauses in zwei staatliche Feriencamps evakuiert, wo sie zehn Tage – für die Dauer der SARS-Inkubationszeit – bleiben müssen. Alle Haustiere in dem Wohnblock wurden sofort eingeschläfert.
Schutzmöglichkeiten gibt es kaum. Der Mundschutz der Marke N 92, der einzige, der guten Schutz vor Ansteckung bieten soll, ist seit langem ausverkauft. Nun sind alle möglichen Varianten auf dem Markt: weiße, quadratische Mulltücher mit Gaze, papierne, mit und ohne Kohlefilter, oder weiße, dreieckige Staubmasken. Vereinzelt sieht man auch schon aus bunten Stoffen selbst gefertigte Mundtücher.
Was wirklich Schutz bieten könnte, ist unklar. Das Gesundheitsministerium empfiehlt, große Menschenmengen zu meiden, die Räume gut zu belüften, sich gesund zu ernähren und die Abwehrkräfte zu stärken.
Diese Vorschläge werden aber durch die Lebensrealität der meisten Menschen in Hongkong konterkariert. In dieser Megacity, in der sieben Millionen Menschen leben, sind Platz und gute Luft Mangelware. Die Menschen wohnen dicht gedrängt auf wenigen Quadratmetern. Sie sind in der Regel auf Klimaanlagen angewiesen, da die Räume kaum noch natürlich zu belüften sind.
Auf Drängen besorgter Eltern sind seit dieser Woche auch alle Schulen geschlossen. Für viele Hongkonger ein Organisationsproblem: Wie sollen die Kinder betreut werden, wenn doch die meisten Eltern, die sich nicht krankmelden, arbeiten müssen? Es wird befürchtet, dass sich die Gefahr für Kinder noch vergrößert, wenn sich viele von ihnen tagsüber unbeaufsichtigt auf der Straße und in den Shopping-Malls herumtreiben.
TVB Pearl, einer der englischsprachigen Sender Hongkongs, berichtet über wachsende Spannungen in den Firmen. Die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verschlechterten sich wegen der unklaren Urlaubs- und Krankenregelung in dieser Zeit zusehends. Es darf sich nur krankmelden, wer ärztlich attestierte Symptome hat. Ansonsten muss man seinen Jahresurlaub nehmen. Der wird meist nur genehmigt, wenn er nicht den Geschäftsinteressen entgegensteht.
Die Angst vor dem Virus ist wirtschaftlich der schlimmste Schock seit der Asienkrise 1997/98. Vor allem der Tourismussektor leidet. Der Aktienindex Hang Seng fiel am Montag, als ein ganzer Wohnblock unter Quarantäne gestellt wurde, um fast 3 Prozent auf 8.465 Punkte, den niedrigsten Wert seit Oktober 1998. Die größten Einbußen mit fast 20 Prozent hat China Southern Airline. Diese Fluggesellschaft hat ihren Sitz in der südchinesischen Provinz Guangdong, dem vermutlichen Herkunftsort des Virus. Die Investmentbank Goldman Sachs prognostiziert Hongkong jetzt nur noch 1,7 statt 3,0 Prozent Wachstum.
Auch wenn die Regierung bemüht ist, Panik zu vermeiden – Polizisten werden zum Beispiel dazu angehalten, keinen Mundschutz zu tragen –, berichten die Medien mehr als ausführlich. Die Abendnachrichten werden zu zwei Dritteln vom Thema SARS beherrscht. Aus den Schlagzeilen der South China Morning Post ist der Irakkrieg längst verdrängt.
So fällt es den Menschen hier schwer, zwischen Panikmache und seriöser Information zu unterscheiden. Am Dienstag lancierte ein 14-jähriger Junge eine Falschmeldung in eine chinesischen Website, die besagte, ganz Hongkong sei zum Quarantänegebiet erklärt worden. Panikkäufe waren die Folge, weil Gerüchte über Ladenschließungen und verordnete Ausgangssperre kursierten. Der Übeltäter wurde vorübergehend festgenommen.
Gesundheitsministerin Margaret Chan beschwichtigte noch am gleichen Abend in den Nachrichten: Es bestehe „keine Notwendigkeit, Hongkong als Infektionsgebiet auszurufen oder gar Quarantäne zu verordnen“. Die Bewohner Hongkongs sind dennoch besorgt. Das Vertrauen in die Regierung ist getrübt. Schon mehrfach wurde Kritik laut, die Behörden handelten nicht schnell und effektiv genug, um die weitere Ausbreitung des gefürchteten Virus zu stoppen.