Wir verlieren Zeit!

Ein paar Tage vorbereiten, dann drehen, dann verkaufen und gleich zeigen: Der nigerianische Starregisseur Jeta Amata präsentiert in Berlin, wie schnell in seinem Land gearbeitet wird

VON DETLEF KUHLBRODT

In Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas, werden jährlich 1.200 Filme gedreht. Das ist Weltrekord. Manche dieser extrem populären Low-Budget-Filme werden in einer Woche weggedreht; auf Video und ausschließlich für den eigenen Markt. Manche Videos werden 200.000-mal verkauft. Außerdem natürlich auch verliehen und illegal kopiert.

Die Filme aus „Nollywood“ (ein von CNN eingeführter Begriff) seien eine „hybride Kreuzung aus Kino und Fernsehen“, schreibt die Filmexpertin Dorothee Wenner. Elemente aus Bollywood, amerikanischen Horrorfilmen, lateinamerikanischen Telenovelas und dem Wandertheater der Yorubas würden zu einem abenteuerlichen Synkretismus zusammengeführt. Unter dem Titel „Hollywood in Nigeria or: How to get rich quick“ werden einige dieser Filme heute und morgen im HAU 2 von dem 28-jährigen nigerianischen Starregisseur Jeta Amata vorgestellt. Er hat bereits 41 Filme gedreht.

Sein 42. Film ist ein interessantes Experiment: Das „Internationale Forum des jungen Films“ hat ihn eingeladen, in Zusammenarbeit mit der Filmhochschule dffb in wenigen Tagen in Berlin einen „Nollywood-Film“ zu drehen. Der Film erzählt von der jungen, toughen, deutschen Geschäftsfrau Alexa und Jamal, einem charmanten Mann aus Nigeria, der weder Geld noch die richtigen Papiere hat. Beide lernen voneinander, korrigieren die Vorurteile, die sie zunächst hatten.

Nicht weniger wichtig als Spannung und Unterhaltung sei die „Message“ im nigerianischen Kino, so Jeta Amata. Leider nur hätte „Alexa Affairs“ in Nigeria keine Erfolgschancen, weil er erstens viel zu kurz werde (30 Minuten) und zweitens keine nigerianischen Stars mitspielen. So ist der No-Budget-Film eine Live-Demonstration nigerianischer Regiekunst für die größtenteils deutsche Crew, fürs Berlinale-Publikum und für die Journalisten, die bei den Dreharbeiten zuschauen durften.

Etwa am Dienstag im zweiten Stock des Ludwig-Erhard-Hauses, dem Hauptquartier der Industrie- und Handelskammer in der Fasanenstraße. Von einem kleinen Flur aus sah man durch Fenster aufs Drehgeschehen in dem Besprechungsraum 2 D 09. Die Szene spielt im Sommer 2003. Der Firmenpatriarch Hans, Chef des Berliner Konzerns „Hans Incorporated“, hat also seine engsten Mitarbeiter und seine Tochter Alexa zu einem außergewöhnlichen Meeting eingeladen. Es geht um finanzielle Unregelmäßigkeiten. Mitarbeiter werden beschuldigt. Während des Treffens stirbt der asthmatische Firmenchef plötzlich.

Die Szene wird wieder und wieder gefilmt. Jeta Amata wirkt konzentriert und energiegeladen. Manchmal liegt er auf dem Boden, damit er nichts ins Bild reinragt. Oft drückt er aufs Tempo, „We’re losing time!“, „Let’s go, let’s go“ und „If you make a mistake – just go on!“ oder es ist ihm nicht emotional genug und er haut auf den Tisch. Dann wird mit mehr Verve gespielt. Für den Laien sieht alles prima aus. Manchmal ist der Regisseur auch sehr zufrieden. Eine Frau vom Haus beschwert sich, dass es zu laut ist. „Und Rauchen ist hier eigentlich auch nicht erlaubt.“

Während weiter gedreht wird, gehen wir in den großen Nebenraum, in dem es was zu essen gibt und Leute Käse raspeln. Die Schauspielerin Ivana Kamsy sagt, ihr sei bei den Dreharbeiten aufgefallen, dass Jeta Amata nie Papier in der Hand hatte, sondern alles im Kopf. So verzettele er sich nie. Außerdem sei er viel spontaner als die Regisseure, mit denen sie sonst arbeitet. Ellenie Salvo Gonzales, die die Titelrolle spielt, erzählt, wie schwierig es sei, in einer Sprache – Englisch –, die nicht die eigene ist, zu spielen. Jeta Amata sagt, er hätte die Schauspielerin gerade deshalb ausgewählt, weil sie kein perfektes Englisch spreche und deshalb umso intensiver mit ihren Augen kommunizieren würde.

In Nigeria würden die Deutschen als Arbeitsmaschinen gelten. Sein Produzent Nikolaus Lohmann arbeite tatsächlich wie eine Maschine. Alles gehe noch schneller als ursprünglich geplant. Das Filmemachen hat sich Amata selbst beigebracht. Ob man in Nigeria nicht auch darüber nachdenken würde, Filme für den internationalen Markt zu drehen? „Wozu? Wir machen das für unsere Leute und uns ist es egal, was die anderen über unsere Filme denken.“ Vielleicht werde Nollywood einmal so groß, dass Ausländer kommen, um in die nigerianische Filmindustrie zu investieren. Gerade der Vertrieb der Filme könnte noch besser organisiert werden.

Heute und morgen, 11 Uhr, HAU 2: „Hollywood in Nigeria …“