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Archiv-Artikel

American Psycho

Doppelkinn und doppelte Emphase: Charlize Theron als Serienkillerin in Patty Jenkins „Monster“ (Wettbewerb)

Charlize Theron steht unter Spannung. Ihre Augen sitzen in den Höhlen wie Pingpongbälle. Der Zug an der Zigarette gerät gierig, der mächtige Körper zuckt und bebt. Dazu die Mundpartie: schiefe Zähne, Doppelkinn, ein Gesicht, an dem viel Alkohol angeschwemmt wurde. Eine Schönheit ist diese Charlize Theron nicht, auch dann nicht, wenn sie vor dem Spiegel einer Tankstellentoilette steht, die Haare im Stil der späten 80er zurückföhnt und sich dabei aufmuntert: „You’re lookin’ good tonight.“

Charlize Theron spielt eine Figur mit realem Vorbild: die Prostituierte Aileen Wuornos. Im Oktober 2002 wurde Wuornos hingerichtet, nachdem sie in den späten 80ern und frühen 90ern mehrere Freier getötet hatte; sie gilt als die erste Frau, die in Serie mordete. Mit „Monster“ hat sich nun die Regisseurin Patty Jenkins des Sujets angenommen. Ein wenig erinnert das an den Fall Brandon Teenas, eines jungen transidentischen Mannes, der vergewaltigt und ermordet wurde, nachdem seine weibliche Anatomie entdeckt worden war. In beiden Fällen geht es um Abweichung und Gewalt. Wie über Wuornos wurde auch über Teena zunächst eine Dokumentation gedreht, später entstand „Boys don’t cry“ unter der Regie von Kimberly Pierce. Für ihre Darstellung Brandon Teenas erhielt Hilary Swank damals einen Oscar; Charlize Theron ist in diesem Jahr nominiert.

Neben Theron agiert Christina Ricci in der Rolle der Freundin Selby, einer jungen Lesbe. An einem Tag legt sie sich Butch-Attribute zu, eine schweres Armband etwa, am nächsten Tag kauft sie einen Teddybär. Kaum hat sie ein paar Tage mit Wuornos verbacht, hält sie die Zigarette genau wie sie, eine Figur ohne Halt. Schön ist zu verfolgen, wie die beiden sich kennen lernen: die anfängliche Abwehr Aileens, dann das gemeinsame Trinken, ein paar Tage später gehen sie zusammen skaten.

Obwohl man weiß, was geschehen wird, scheint sich die Geschichte zu diesem frühen Zeitpunkt noch in alle Richtungen entwickeln zu können. „Monster“ hat hier einen schönen Blick für Details, die Kostüme sind großartig; besonders wenn sich Aileen fein zu machen versucht, weil sie einen Job sucht. Doch die Stärke des Filmes – die schauspielerische Leistung Charlize Therons – ist zugleich seine Schwäche. Denn bald hat Jenkins den Erzählmodus für ihren harten Stoff gefunden: die Emphase. Oder besser: die doppelte Emphase. Was die Maskenbildner mit dem Gesicht der Hauptdarstellerin angestellt haben, setzt sich in deren Overacting fort. Die Anspannung lässt niemals nach, es gibt keinen Moment der Ruhe, jedes Gespräch kippt in Geschrei, eine Begegnung mit einem Fremden lässt Aileens Körper in Aggressivität erstarren. Reicht das Repertoire der Gesten und Haltungen nicht aus, setzt Jenkins Musik ein. Die wird lauter und lauter, kurz bevor Wuornos den zweiten Mord begeht – ganz so, als gäbe es keine anderen Mittel, innere Unruhe auszudrücken und ein beschädigtes Leben auf die Leinwand zu bringen. CRISTINA NORD

Heute, 9.30 und 21 Uhr Royal Palast