ruf nach neuwahlen : Gespielter Tatendrang
Sie wissen es eigentlich besser. Edmund Stoiber und Angela Merkel, die jetzt nach Neuwahlen rufen, haben am Freitag, direkt nach dem Rücktritt Gerhard Schröders von seinem Amt als SPD-Chef, zunächst klug reagiert. Ein bisschen Schadenfreude muss sein, deshalb sprach Merkel vom „Anfang vom Ende von Rot-Grün“. Wohlgemerkt vom Anfang. Dass es sofort zu einem Regierungswechsel komme, nannte Stoiber „unrealistisch“. Damit hatte er Recht.
KOMMENTARVON LUKAS WALLRAFF
Der schnelle Sinneswandel der UnionsfürstInnen übers Wochenende spricht nicht dafür, dass die Aussichten auf ein schnelles Ende der Regierung gestiegen sind. Im Gegenteil. Das wilde Geschrei der Opposition schweißt die angeschlagene Koalition erst recht zusammen. Neuwahlen gäbe es nur, wenn die SPD beschlösse, freiwillig auf die Macht in Berlin zu verzichten. Ein Szenario, das ungefähr so wahrscheinlich ist wie die Vorstellung, die SPD werde sich auf ihrem Sonderparteitag im März selbst auflösen.
Neuwahlen würde es nicht einmal dann geben, falls Schröder eines Tages auch als Kanzler hinwirft. Der neue SPD-Messias Franz Müntefering stünde notfalls – aber nur dann – sofort bereit. Und seine Partei, die ihm inzwischen alles zutraut, würde ihm mit Freuden dabei helfen, die Regierung irgendwie zumindest bis zur Wahl 2006 zu retten. Schon Münteferings Übernahme des Parteivorsitzes hat gereicht, dass die SPD wieder an sich selbst und an den Aufschwung glaubt. Ein Irrglaube, vielleicht, aber nicht ganz so absurd wie Hoffnungen auf Neuwahlen.
Dass Stoiber und Merkel (und FDP-Chef Westerwelle sowieso am lautesten) so tun, als wollten und könnten sie das Ruder in Berlin stande pede übernehmen, zeigt nur, unter welchem Druck das Trio der Möchtegernregierer steht. Fängt einer damit an, Neuwahlen zu fordern, kann der oder die andere nicht anders, als mitzurufen. Alles andere würde intern als Schwäche ausgelegt. In Wirklichkeit verdecken sie mit ihrem gespielten Tatendrang nur ihre wahren Schwächen.
Die Union wäre überhaupt nicht darauf vorbereitet, wenn ihr öffentlich bekundeter Wunsch nach Neuwahlen in Erfüllung ginge. Das radikale Reformkonzept, das Merkel vorschwebt, hat sie in der Union noch längst nicht durchgesetzt. Dafür braucht sie Zeit – und ein paar gewonnene Landtagswahlen. Stoiber hat erst gar kein Konzept und könnte nur da weiterwursteln, wo Schröder aufgehört hätte. Was er nicht tun wird.