: Ein paar Schläge ins Gesicht
Kidnapping als Modeerscheinung: In grobkörnigen Bildern zeichnet Kazushi Watanabes Spielfilmdebut „19“ lakonisch ein scheinbar vollkommen motivloses Verbrechen nach
In Japan sind gerade unter Jugendlichen Entführungen in Mode. Cliquen von gelangweilten jungen Männern schnappen sich von der Straße weg möglichst brave Schüler oder Studenten, um mit diesen eine Spritztour zu machen und sie dabei zu demütigen. Irgendwann lassen sie ihre Opfer einfach so wieder frei.
Vor einigen Jahren ist dies auch einem Freund des Filmemachers Kazushi Watanabe passiert. Dieser war fasziniert von solch einem scheinbar völlig motivlosen, absurden Verbrechen. Mit 19 Jahren verarbeitete er die Geschichte seines Freundes zu einem Drehbuch, drei Jahre später machte er daraus „19“.
In dem Film übernahm er selbst die Rolle eines der Entführer. Diese schneiden einem Motorrollerfahrer in adretter Studentenuniform auf der Straße den Weg ab und zerren ihn in ihr Auto. Dann unternehmen sie mit ihm ganz alltägliche Dinge: Sie kaufen in einem Supermarkt ein, besuchen den Zoo, essen in einem Fastfoodrestaurant und fahren ans Meer. Sie behandeln ihr Opfer dabei so, als wäre es einfach ein weiteres Mitglied der Clique. Zuerst versucht der junge Mann abzuhauen. Er bekommt ein paar Schläge ins Gesicht, aber im Grunde sind die drei Kidnapper eher freundlich zu ihm. Langsam entwickelt sich ein merkwürdig ambivalentes Verhältnis zwischen ihnen. Das Rätsel bleibt, und Watanabe versucht in keinem Moment, Motive zu liefern.
Stattdessen hat der Film viele Leerstellen, die Zeit scheint in ihm gedehnt zu sein, über lange Passagen passiert nichts anderes, als dass vier junge Männer in einem Auto fahren. Die Bilder verstärken diesen Eindruck der Leere: Oft sind sie grobkörnig, die Farben wie ausgebleicht, und alles scheint von der Kamera eher beiläufig aufgenommen worden zu sein: Watanabes wichtigste Regieanweisung muss „Weniger, viel weniger“ gewesen sein. Manchmal droht der Film, sich vor den Augen der Zuschauer ins Nichts zu verflüchtigen.
Langeweile darzustellen, ohne dabei selber langweilig zu werden, ist eine große Kunst. Watanabe beherrscht sie zwar in Ansätzen, aber nicht in allen Szenen von „19“ . Nicht nur hierin erinnert er an frühe Jim Jarmusch-Filme wie „Permanent Vacation“ und „Stranger than Paradise“. Wie in „Dead Man“ besteht der Soundtrack zum großen Teil aus ruppigen E-Gitarrensoli, grobkörnig wie die Bilder. Und Watanabe setzt seine Pointen ganz ähnlich wie einst Jarmusch: lakonisch und absurd, aber man würde wohl nicht so dankbar über sie lachen, wenn die Szenen davor nicht so dröge gewesen wären. Einer der drei Entführer macht ständig Fotos von der Clique. Nach seinem Lieblingsbild gefragt, beschreibt er eine unscharfe Aufnahme, auf der nur weiche Schemen zu erkennen sind. Das gleiche gilt wohl auch für Watanabes Ästhetik: In „19“ bleibt fast alles diffus. So kann jeder in den Film hineinlesen, was er will. Wilfried Hippen
„19“, von heute bis Dienstag, Kino 46, jeweils 20.30 Uhr