: Kein Mensch ist authentisch
Gekonnt verwackelt: Daniel Burmans argentinischer Wettbewerbsbeitrag „El Abrazo Partido“ enttäuscht gekonnt die Erwartung, dass die Herkunft eine Wahrheit über den Menschen erzählen würde. An ihre Roots glauben die Protagonisten nur im Gespräch mit dem Konsularbeamten
Selten hat man, das muss man „El Abrazo Partido“, dem argentinischen Wettbewerbsbeitrag von Daniel Burman zugute halten, einen so inspirierten Umgang mit Hand- und Wackelkameras gesehen. Befreit von der Bedeutung „wildes Leben“ oder „heftiges Heroin“ entfaltet diese ständig hektische Brustbilder und nervöse Nahaufnahmen liefernde Kameraarbeit ihre Wirkung besonders schön in der Einzelhändler-Enge einer Mall im Herzen von Buenos Aires. Von der großen, schönen Stadt sieht man nichts außer Hektik, Köpfe und einen ebenso unromantisch wie undramatisch ans Eingemachte gehenden Überlebenskampf.
Alle in dieser kleinen Welt Gefangenen haben ihre mentalen Fluchtpunkte. Je nach Alter liegen sie in der Zukunft oder in der Vergangenheit. Bei der im Mittelpunkt stehenden jüdischen Familie ist aber auch diese verbaut: Die Großmutter der Hauptfigur Ariel durfte zu Lebzeiten ihres Ehemanns nicht ihre jiddischen Lieblingslieder singen, weil sie ihn zu sehr an „den Horror“ erinnerten. Die scheinbar zeitlose Anekdote über einen Rabbi, einen kleinen Jungen und den verlorenen Sabbat wird, nachdem sie zu viel wärmende Erbauung verbreitet hat, kurz mit einem „und dann kamen die Nazis und haben sie alle umgebracht“ beendet. Ariel will über seine polnische Staatsbürgerschaft nach Europa kommen, ein Freund hat litauische Vorfahren entdeckt.
Erwartungen auf Essenzielles werden jedoch, auch das gefällt an „El Abrazo Partido“, systematisch enttäuscht. Für Projektionen sind hier alle zu skeptisch, und an die Wahrheit der Roots wird höchstens zum Schein im Gespräch mit Konsularbeamten geglaubt. Niemand ist authentisch, weder in der aktuellen noch in der für die Flucht vorgesehenen Rolle.
Humor und Einsichten dieses Filmes stoßen sich weniger an filmischen als an literarischen Grenzen. Die kleine Welt, in der angeblich eine große oder gar die ganze steckt, ist eben auch als Erzählkonvention eher überschaubar. Allgemein Menschliches bricht sich Bahn. Die ödipale Wut der Hauptfigur, aus der am Schluss zwar nett die Luft herausgelassen wird, füllt aber den Abend ebenso wenig, wie seine bisweilen zu zeitgenössischen Tangos beschleunigten Schritte uns bewegen. Wie sich das Ende ankündigt, indem nichts passiert in diesem akut abstiegsbedrohten Leben, ist indes genau das, was Burman erzählen will.
DIEDRICH DIEDERICHSEN
Morgen, 15 und 21 Uhr, Royal Palast