JENNI ZYLKA über PEST & CHOLERA
: Der soll nur kommen, der Mr. Tod!

Taub? Asthma? Perfekt! Meine Gebrechen haben mich zur prädestinierten Geheimagentin gemacht

Seit ich eine Mittelohrentzündung hatte, habe ich keine Angst mehr vor dem Sterben, vor dem Gebären oder dem Von-einer-fremden-Macht-durch-Foltern-zum-Reden-gebracht-Werden. Der soll nur kommen, der Mr. Tod, die sollen nur kommen, die Presswehen, und die soll nur meine Füße mit Salz bestreuen und von einer Ziege ablecken lassen, die fremde Macht. Ich sage nichts, nicht mal unter der chinesischen Tropfenfolter. Seit ich eine Mittelohrentzündung hatte, bin ich prädestiniert für einen gefährlichen Spionagejob, denn aus mir bekommt man garantiert nichts heraus, wenn ich in feindliche Hände falle.

Die Taubheit im rechten Ohr, die sich eingestellt hat, seit ich eine Mittelohrentzündung hatte, könnte sich natürlich ein wenig negativ auf die Akquirierung als Geheimagentin auswirken. Andererseits wäre meine negative Einstellung gegenüber großen Teilen des Staatsapparats ein viel größerer Hinderungsgrund. Weibliche Geheimagenten müssen ohnehin nicht so gut hören, sondern vor allem tanzen können: Mata Hari war bei ihrer Mission sehr erfolgreich. Und in „Goldfinger“ benutzt Gerd Fröbe alias Goldfinger den Fake-Hörapparat in seinem Ohr dazu, das Gegenüber beim Kartenspielen zu bescheißen. Das werde ich dem Hauptquartier auch anbieten. Es wird doch wohl irgend so einen Hörapparat-Gimmick geben, der sich als nützlich erweist.

Mit der leichten, durch die Mittelohrentzündung hervorgerufenen Hörschwäche könnte ich außerdem hervorragend als Schlagzeugerin arbeiten. Ich kenne mindestens vier schwerhörige Schlagzeuger, und die sind schließlich erst durch ihren Beruf so geworden. Ich hätte ihnen also bereits einiges an Erfahrung voraus. Weitere Berufsoptionen sind Kindergärtnerin und Glöcknerin. Schwerelos, bucklig und glücklich in meine Esmeralda verliebt könnte ich an den Glockenseilen des Berliner Doms herumschwingen, oder vielleicht besser einer Katholiken-Kirche, die läuten öfter. Als Kindergärtnerin legte ich eine Engelsgeduld an den Tag, die Eltern wären angenehm überrascht darüber, wie lange es dauert, bis mich das permanente Krähen der Furzknoten auf die Palme bringt. „Sie haben wirklich die Ruhe weg“, lobten sie mich.

Auch das konzentrierte Arbeiten in stressigen und lauten Redaktionen fiele mir viel leichter. Wenn ich mir das linke Ohr auch noch abdichte und den visuellen Telefonklingelalarm abstelle, könnte mich überhaupt nichts mehr stören. Vielleicht gelängen mir dann endlich einmal ein paar anständig recherchierte Texte. Meine schwache Lunge, unter der ich leide, seit das Kinderasthma mich fast hinweggerafft hatte, brachte mir ebenfalls unter dem Strich nur Vorteile: Ich rauche nicht, denn nach einem Abend mit Zigaretten bin ich am Morgen so kurzatmig wie Jopi Heesters und kann darum nur noch in Drei-Wort-Sätzen sprechen. Die Befreiung vom Sportunterricht, die ich als Schülerin genoss, habe ich kurzerhand selbstständig bis ins Erwachsenenalter ausgedehnt. Und manchmal, wenn ein Loch im Geldbeutel droht, stelle ich mich als Pharmaprobandin für Anti-Asthmamittel-Studien zur Verfügung und lerne dabei sehr nette Lungenkranke kennen, mit denen man in der meersalzhaltigen Luft der Nordseeküste spazieren gehen kann.

Außerdem kann ich mir ein Leben ohne ÄrztInnen überhaupt nicht vorstellen. Die zehn Euro (oder fünfzig, wenn man ein paar Mal den Notarzt rufen muss) pro Quartal sind ein geringer Preis für intensive und effektive Verabredungen. Wo hat man das sonst schon, dass sich jemand „10.30 Uhr Zylka“ in seine Agenda einträgt und bei dem darauf folgenden Treffen wirklich daran interessiert ist, wie es einem geht? Natürlich sehe ich, dass das keine kostenlosen Freundschaften sind, sondern die Teilnahme an einem riesigen, verzwickten Geflecht namens Gesundheitssystem. Aber welche Freundschaften sind heutzutage schon kostenlos? In letzter Zeit kommen meine angeblichen Umsonst-FreundInnen auch nur noch, wenn ich Kuchen gekauft habe. Vielleicht rede ich ihnen zu viel über meine Krankheiten.

Fragen zu Gebrechen? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN