: Der Schmerzensmann des Rock ‘n‘ Roll
Mit Protesten gegen den US-Präsidenten verprellt Eddie Vedder von der Grunge-Gruppe Pearl Jam seine Fans
Und dann spießte Eddie Vedder, Sänger der Gruppe Pearl Jam, eine Maske von George W. Bush auf seinen Mikrofonständer, schlug sie auf den Boden und trampelte darauf herum. Dazu spielte die Band das Stück „Bushleaguer“, in dem über den Präsidenten hergezogen wird. Kritik, die manchen Konzertgängern zu drastisch war. Ein Zuschauer hatte Vedder aufgefordert, den Mund zu halten. Der Sänger reagierte verärgert und verwies auf das Recht, sich frei äußern zu dürfen – unter Protest verließen dutzende die Halle in Denver. Und das, obwohl Vedder bei allem Protest noch hübsch differenzierte: Die Soldaten seien „nicht diejenigen, die außenpolitische Entscheidungen treffen“.
Die örtliche Presse zitierte anschließend einen Fan mit den Worten, gegen Kritik am Präsidenten sei nichts einzuwenden, solange die „Truppen unterstützt“ würden. Aber dies sei zu weit gegangen. Aber warum ist er denn dann hingegangen?
Pearl Jam traten unter diesem Namen und mit Eddie Vedder erstmals am 22. Oktober 1990 im Off Ramp Café in Seattle auf, ihr Debüt „Ten“ katapultierte sie prompt in die erste Liga des Grunge – ein Musikstil, der sich aus Welt- und Selbstekel, Holzfällerhemden und Punk-Attitüde zusammensetzt. Und Eddie Vedder, der am 23. Dezember 1964 als Edward Louis Severson junior in Illinois geboren wurde, lieh dem vertonten Überdruss der „Generation X“ eine Stimme.
Den ersten Gegenwind erlebte die Band, als der Rolling Stone Mitte der Neunzigerjahre in einer gut recherchierten Geschichte enthüllte, dass weite Teile von Vedders Biografie zwar legendentauglich traurig, aber leider auch frei erfunden waren – er sei kein existenzialistisch zergrübeltes Seattle-Original, sondern vor seinem Job bei Pearl Jam ein eher lebenslustiger Surfer aus San Diego gewesen. Ganz im Gegensatz zum zweiten Fixpunkt der Szene, dem authentisch magenkranken Kurt Cobain.
Dem Erfolg der Gruppe tat dies keinen Abbruch, im Gegenteil: Mit ihrem immer handlicheren Rockmaterial spielte sie sich aus kleinen Clubs in größere Hallen, Neil Young buchte Pearl Jam sogar als Studiomusikanten für sein Album „Mirror Ball“ – allerdings ohne Vedder.
Am 30. Juni 2000 erlebte die Gruppe dann eine weitere Zäsur: Im dänischen Roskilde mussten Vedder & Co hilflos mit ansehen, wie im Gedränge vor der Bühne neun junge Fans zu Tode gequetscht wurden: „Roskilde hat uns als Menschen verändert und den Filter, durch den wir die Welt sehen“, sagte Vedder.
Dazu gehört offenbar auch der Blick auf die Politik und den Präsidenten, wie er im vergangenen November im Gespräch mit der taz durchblicken ließ: „Die Ölfirmen haben seinen Wahlkampf finanziert, und natürlich vertritt er nun deren Interessen. Dass dies so offensichtlich auf der Bühne der Weltpolitik passiert, ist nicht nur eine Schande, sondern im wahrsten Sinne mörderisch.“ Daher der Eklat mit der Bush-Maske.
„Das übertrifft ja noch die Dixie Chicks“, wurde ein enttäuschter US-Fan zitiert. Die Sängerin der Country-Band hatte auf einem Konzert in London gesagt, sie schäme sich dafür, wie der US-Präsident aus Texas zu kommen. Zahlreiche Radiosender in den USA boykottieren seitdem ihre Musik. Dergleichen haben Pearl Jam nicht zu früchten – dreht man in den USA das Radio an, kommt immer Pearl Jam.
ARNO FRANK