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Archiv-Artikel

Und ewig rauscht die Reichsstraße

Ein Zuschlag für die Internationale Gartenbau-Ausstellung 2013 wäre eine Riesenchance für Wilhelmsburg – und eine Herausforderung: Eine Hauptverkehrsstraße teilt das Gebiet. Erstmals sollen im großen Stil Kleingärtner einbezogen werden

Image-Kampagnen scheiterten an Leuten, die Müll aus dem zehnten Stock werfen

von GERNOT KNÖDLER

Petra Gruf erholt sich an der Autobahn. Wenn sie ihren Kleingarten umgräbt, begleitet sie das Singen der LKW-Reifen auf der Wilhelmsburger Reichsstraße, die in sechs Meter Entfernung an ihrer Parzelle vorbeiführt. „Wissen Sie, das ist ein anderes Lebensgefühl als im Bunker“, sagt sie und meint damit den Wohnblock an der Neuenfelder Straße, in dem sie zu Hause ist. Der Lärm störe sie nicht, sagt sie lächelnd und deutet auf ihr Hörgerät.

Die Reichsstraße ist typisch für Wilhelmsburg und dessen städtebauliche Probleme, und sie wird auch die Internationale Gartenbau-Ausstellung (IGA) prägen, wenn sie denn 2013 hier stattfinden sollte. Ob das der Fall sein wird, soll übermorgen entschieden werden (siehe Kasten).

Zum ersten Mal würden bei einer IGA Kleingärtner eine große Rolle spielen. Dort, wo das zentrale Gelände entstehen soll, liegen Hunderte ihrer Parzellen. Heiner Baumgarten, als Leiter der Abteilung Stadtgrün und Erholung in der Umweltbehörde federführend mit der IGA befasst, glaubt, dass es an der Zeit sei, die Bedeutung der Hunderttausenden von Kleingärtnern im Gartenbau zu würdigen.

Die IGA könnte die Konsequenzen aus dem Bedeutungswandel der Kleingärten von der Selbstversorgung zum Freizeitvergnügen und zur Erholung ziehen: breitere Wege, neue Verbindungen, öffentliche Plätze zum Plauschen und Boulespielen sollen entstehen. Die Besucher würden „sehen, was man mit eigenen Mitteln und Möglichkeiten machen kann“. Für die Kleingärtner könne der erwartete Andrang zwar nervtötend sein. Aber die Gartenschau dauere nur 170 Tage und biete eine Chance, sich zu präsentieren.

Dass das funktionieren könnte, macht die Begeisterung augenfällig, mit der Petra Gruf ihren Garten vorführt. Ihre Kleingartenkolonie „Sommerfreude“ liegt am Nordende des zentralen IGA-Bereichs, zwischen Rotenhäuser Straße und Vogelhüttendeich. Östlich davon, jenseits der Reichsstraße, sind Container gestapelt, dahinter liegt Bahngelände brach. Der Senat verhandele über den Kauf dieser und weiterer Flächen, sagt Baumgarten. Er könne sich vorstellen, auf dem malerischen Gelände mit einem abgebrannten Lokschuppen ein beispielhaft begrüntes Gewerbegebiet zu schaffen.

Westlich der Kleingärten liegt das von einem riesigen, viertürmigen Hochbunker beherrschte Rotenhäuser Feld – der zentrale Platz des dortigen Wohnviertels. Der Park soll laut IGA-Konzept so umgebaut werden, dass sich Kinder und Jugendliche entfalten können. Im Wohngebiet soll ein Lehrpfad die Geschichte des sozialen Wohnungsbaus erzählen und gezeigt werden, wie die Stadt durch ressourcenschonendes Bauen verdichtet werden kann. Im Westen wird es vom Veringkanal begrenzt, den die Planer über kleine Parks, Stege und schwimmende Gärten wieder zugänglich machen wollen.

Die genannten Projekte stehen beispielhaft für drei der vier zentralen Themen der Hamburger IGA-Bewerbung: „Die Inseloase“, „Der Urlaub vor der Haustür“ und „Ein Stadtteil entdeckt seine Ufer“. Das vierte Thema – „Zur Kultur der Landschaft“ – reicht über den Kern des Stadtteils hinaus und schließt sanften Tourismus auf den Weiden des Wilhelmsburger Ostens ebenso ein wie die Schaffung grüner Wegeverbindungen zur City und nach Harburg.

Die eingezäunte Ausstellungsfläche der IGA wird südlich der Neuenfelder und der Mengestraße liegen, mit dem Haupteingang am S-Bahnhof. Hinter dem Rathaus und an den Teichen Kükenbrack, Mahlbusen und Uhlenbuschbrack gibt es heute schon einen Park, der zwar stark genutzt wird, aber schöner sein könnte: Auf dem Rasen steht Wasser, in manchem Graben liegt Müll. Ein kleiner Wohnblock, dessen Garten an den Park grenzt, ist trotz seiner scheinbar privilegierten Lage verlassen, die Fenster sind vernagelt. „Die Wohnungsbaugenossenschaften gucken schon alle auf den 9. April“, sagt Baumgartens Mitarbeiterin Martina Oldengott.

Viele Wilhelmsburger hoffen, dass die IGA das Image ihres Stadtteils verbessern könnte. „Die IGA ist einfach das richtige Signal“, sagt Manuel Humburg vom Verein „Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg“. Die bisherigen Bemühungen scheiterten an Berichten über Menschen, die ihren Müll aus dem zehnten Stock werfen, am Kampfhund Zeus, der den sechsjährigen Volkan totbiss, und Sven Böttcher, der seine Ex-Freundin und deren Töchter ermordete, weil sie ihn verlassen hatte.

Die IGA bietet die Chance, Ideen umzusetzen, wie sie Bürger und Planer in einer Zukunftskonferenz für den Stadtteil entwickelt haben. Dazu gehören Fähranleger am Reiherstieg, gute Rad- und Fußwege in die benachbarten Stadtteile und eine schwimmende Siedlung im Spreehafen – ein Projekt, für das der Zollzaun um den Freihafen verlegt werden müsste. Sachwalter dieser Ideen ist heute der Verein Elbinsel. Humburg beurteilt die IGA-Bewerbung „uneingeschränkt positiv“.

Nicht wegzaubern kann die IGA die Reichsstraße, die die Zukunftskonferenz gerne an die Bahnstrecke verlegt hätte. Der Lärm, mit dem die Piste das zentrale IGA-Areal überflutet, könnte eine der großen Herausforderungen für die Planer werden.