piwik no script img

Archiv-Artikel

Regierender bei den Stiften

Ob Lehrling oder Azubi – es werden immer weniger, obwohl die Nachfrage nach Lehrstellen nicht sinkt. Klaus Wowereit hat sich die Situation vor Ort angesehen – für den heutigen Ausbildungsgipfel

von JULIANE GRINGER

„Brot backen fand ich schon immer, na ja, geil?“, versucht der 21-jährige Eddie Schröter in Worte zu fassen, was ihn zum Bäckerhandwerk trieb. Der Geselle hat bei der Bäckerei Beumer & Lutum in Kreuzberg gelernt. Heute laufen dort Journalisten an Rührschüsseln und Ofen vorbei. Eine Fahrt durch Berliner Handwerksbetriebe soll ihnen zeigen, wie Jugendliche ausgebildet werden. Der Präsident der Handwerkskammer, Hans-Dieter Blaese, nutzt die Chance, um an Betriebe zu appellieren, wieder verstärkt Lehrstellen zu schaffen. Mit von der Partie: Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister.

In der Backstube plaudert Wowereit mit Geschäftsführerin Christa Lutum, erzählt von seiner Studentenzeit, als er für eine Bäckerei Brot ausfuhr und „ganz früh aufstehen“ musste. Ab September beginnen hier wieder zwei neue Stifte ihre Ausbildung. Das sei schon aufregend, wenn der Bürgermeister mal vorbeischaut, meint Eddie. Eine Praktikantin geht zu Boden. Sie ist ohnmächtig geworden.

Ohnmacht hat auch die Ausbildungssituation in Berlin befallen: Gab es 1999 noch fast 23.000 Ausbildungsverhältnisse im Handwerk, sank die Zahl im vergangenen Jahr auf knapp 18.900. „Auch 2003 starten wir nicht positiv“, sagt Handwerkskammer-Chef Blaese. „Wir wollen wenigstens die Zahlen des Vorjahres halten. Aber es gibt wieder viele Schulabgänger und Bewerbungen.“ Gerade in Bereichen wie Bau und Metall sei das Lehrstellenangebot inzwischen stark gesunken. „Natürlich ist auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt kritisch. Heute können wir nicht mehr – wie etwa vor fünf oder sechs Jahren – die Chance auf einen Arbeitsplatz zusagen.“

Bei Orthopädie-Schuhmacher „Jacob Böhme“ sitzt Nico Formolo auf einem Hocker und hämmert brav an einer Ledersohle weiter. Jeder Schuh ist hier eine Spezialanfertigung, jeder Lehrling gut ausgesucht. Doch Orthopädiefacharbeiter Dieter Boock meint, die Zeugnisse der Bewerber um einen Ausbildungsplatz würden immer schlechter. „Wir haben einen Aufnahmetest eingeführt, mit Aufsatzschreiben und Matheaufgaben.“ Nico Formolo bestand und bekam eine der begehrten Stellen – nach 80 erfolglosen Bewerbungen. Dieses Glück werden, wie schon im vergangenen, 3.300 Jugendliche dieses Jahr wieder nicht haben. Sie stehen voraussichtlich ohne Ausbildungsplatz da.

Dagegen soll ein neuerlicher „Ausbildungsgipfel“ helfen, sagt Wowereit. Zweimal im Jahr findet er statt, heute wieder, und berät über die aktuelle Lage im Land. „Dabei sprechen wir auch Betriebe an“, so Wowereit. „Die Offensive hat sich bewährt. Die Mitglieder aus verschiedenen Institutionen wie Kammern und Jugendämtern ziehen alle an einem Strang.“

Viele Betriebe wollen ausbilden, können es sich wirtschaftlich aber nicht leisten. Hans-Dietrich Blaese appelliert an dasEngagement und das Durchhaltevermögen bei den Ausbildern. „Sie sollten sich an den Moment erinnern, als sie selbst eine Lehrstelle suchten. Die wirtschaftliche Situation ist schwierig, aber Ausbildung ist auch eine gesellschaftliche Verpflichtung.“

Wowereit beim Bäcker, Wowereit beim Schuster, beim Friseur und in der Tischlerei. Überall sind die jungen Lehrlinge ein bisschen aufgekratzt, wenn der Regierende in die Werkstätten, Salons und Backstuben tritt. Von der Politik erwarten sie konkrete Hilfen, Aufschwung in der Wirtschaft. „Acht Stunden stehen wir jeden Tag im Salon, für so wenig Geld“, sagt Friseur-Azubi Christiane Rochert.

Momentan acht Lehrlinge ausbilden kann die „Tischlerei an der Elisabethkirche GmbH“. Auch wenn der Betrieb mit hohen Mietkosten und schlechter Zahlungsmoral der Kunden zu kämpfen hat, bemühen sie sich, die Zahl der Auszubildenden zu halten. Eine der Tischlerlehrlinge ist Anusheh Majidi-Shad. Die Abiturientin möchte „Entwicklungshilfe machen“ und wollte einem Studium eine praktische Ausbildung voranstellen. „Es ist toll, wenn man etwas kann“, sagt sie. „Fußboden verlegen oder eine Tür bauen zum Beispiel.“