: Zehn Jahre Kampf gegen den Krieg
Keine Gnade der Justiz für zwei Hamburger Totalverweigerer: Haft für Nick Netzler, Bewährungsstrafe für Andreas Wieckhorst. Beide lehnen aus Gewissensgründen auch den Zivildienst ab, weil auch er Teil der Verteidigungsstrategie sei
von VOLKER STAHL
Während die rot-grüne Bundesregierung zurzeit mit ihrer Anti-Kriegspolitik in Sachen Irak punktet, bekommen konsequente Kriegsdienstgegner weiter die Härte des Gesetzes zu spüren. So wie die Hamburger Andreas Wieckhorst (32) und Nick Netzler (31): Der eine wurde jetzt zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, der andere ins Gefängnis gesteckt.
Wieckhorst und Netzler waren lange in der Hamburger Totalverweigerer-Organisation „Die Desertöre“ aktiv, nachdem sie Anfang der neunziger Jahre in der Hansestadt Wehr- und Zivildienst verweigerten (siehe Text unten). Den so genannten Ersatzdienst lehnen die Kriegsgegner als „Zwangsdienst“ bis heute aus Gewissensgründen ab. Ihre Begründung: Der Dienst sei Bestandteil der Gesamtverteidigungskonzeption, die ein Zusammenspiel von militärischer und ziviler Verteidigung vorsieht. Im Verteidigungsfall könnten Kriegsdienstverweigerer zu einem „unbefristeten Zivildienst“ einberufen werden – ein Szenario, an dem sich die beiden Hamburger nicht beteiligen wollen.
Doch die konsequente antimilitaristische Haltung hat ihren Preis: Das Amtsgericht Bergen auf Rügen verurteilte Wieckhorst vorige Woche wegen Dienstflucht zu zwölf Monaten Gefängnis auf Bewährung und 3000 Euro Geldstrafe, der seit Jahren fahnenflüchtige Netzler wurde – wie erst jetzt bekannt wurde – am 16. März in Stralsund verhaftet und muss eine Reststrafe verbüßen.
Der anerkannte Kriegsdienstverweigerer Wieckhorst hatte 1993 totalverweigert, mehreren Einberufungen zum Zivildienst war er nicht gefolgt. Das Hamburger Landgericht verurteilte ihn im August 1995 wegen Dienstflucht zu einer Haftstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung. In ihrem Urteil sprach die Richterin dem Angeklagten eine Gewissensentscheidung ab, was neue Einberufungen und Strafen ermöglichte. Wieckhorst versteckte sich.
Ende 1998 flatterte eine erneute Einberufung bei seiner Tarnadresse ein, auf die er nicht reagierte. 2001 war die sechs Jahre zuvor ausgesprochene Strafe zwar verjährt, dennoch musste er sich wegen Dienstflucht vor dem Amtsgericht in Bergen verantworten. Den Staatsanwalt, der sich in seinem Plädoyer selbst als Kriegsdienstverweigerer und Friedensaktivist der 80er Jahre zu erkennen gab, ging die Ablehnung des Zivildienstes zu weit. Er forderte 15 Monate Knast ohne Bewährung. Das erschien dem Richter zu hart: zwölf Monate auf Bewährung. Wieckhorsts Hamburger Verteidigerin Gabriele Heinecke bezeichnete seinerzeit das Urteil als „Frechheit“, weil das Gericht die Gewissensentscheidung ihres Mandanten nicht anerkannt habe. „Deshalb konnte Andreas für dieselbe Tat zum zweiten Mal bestraft werden, obwohl das Grundgesetz in Artikel 103 die Doppelbestrafung verbietet.“
Auch Nick Netzler muss für seine vor einem Jahrzehnt getroffene Entscheidung gegen jegliche militärische Verplanung bis heute büßen. Konsequent verweigerte der Krankenpfleger Erfassung, Musterung, Eignungsprüfung und mehrere Einberufungen. Einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellte er nicht. 1993 tauchte Netzler nach der ersten Einberufung zur Bundeswehr für zwei Jahre unter und schlug sich mit Jobs durch. Er wurde gefasst, vor Gericht gestellt und 1996 vom Landgericht Itzehoe wegen Fahnenflucht zu zehn Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.
Einer erneuten Einberufung folgte das gleiche Spiel: Untertauchen, Festnahme, Untersuchungshaft, Urteil. Der erneute Richterspruch in Itzehoe aus dem Jahr 1999 lautete: acht Monate ohne Bewährung. Wieder setzte sich Netzler ab. Seit seiner Festnahme vor zwei Wochen verbüßt er bis Mitte September seine sechsmonatige Reststrafe in der JVA Stralsund.
Für Peter Tobiassen von der Bremer Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen gehört zumindest Netzler zu den „Altfällen“. Begründung: „In der aktuellen Wehrpflichtsituation können sich die Kreiswehrersatzämter aussuchen, ob sie Ärger haben wollen oder nicht.“ Denn erklärte Kriegsdienstgegner dürfen zu Hause bleiben, weil ein Überangebot an Wehrpflichtigen herrscht. „Es wäre doch abstrus, wenn man die vier oder fünf holt, die nicht wollen“, sagt der KDV-Experte.