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Archiv-Artikel

Karlsruhe kassiert scharfe Gesetze

Das Verfassungsgericht hat Gesetze der Länder beanstandet, die eine nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung von Straftätern ermöglichen. Jetzt muss die rot-grüne Regierung entscheiden, ob sie ein entsprechendes Bundesgesetz erlassen will

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

Die Bundesländer dürfen die Sicherungsverwahrung für potenzielle Rückfalltäter nicht durch eigene Gesetze verschärfen. Das hat gestern das Bundesverfassungsgericht erklärt und damit vier Ländergesetze zur so genannten nachträglichen Sicherungsverwahrung kassiert. Rot-Grün will nun über ein entsprechendes Bundesgesetz beraten.

Erfolg hatten zwei Strafgefangene aus Bayreuth und Halle (siehe Kasten). Sie waren zu langen Haftstrafen verurteilt worden, ohne dass im Strafurteil eine anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet war. Erst aufgrund von neuen Landesgesetzen wurde jeweils kurz vor der bevorstehenden Entlassung doch noch Sicherungshaft verfügt. Dagegen erhoben die Männer Verfassungsbeschwerde, da solche Regeln ausschließlich der Bund erlassen könne.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts gab ihnen jetzt Recht. Die Sicherungsverwahrung sei zwar keine Strafe, sondern diene nur der Prävention. Dennoch gehöre sie zum Strafrecht, für das allein der Bund zuständig sei. Denn Sicherungshaft gebe es „ausschließlich für Straftäter“, so die Richter.

Die Länder hatten ihre neuen Gesetze mit ihrer Zuständigkeit für die Gefahrenabwehr gerechtfertigt. Mit der nachträglichen Sicherungsverwahrung sollten vor allem Täter erfasst werden, deren fortdauernde Gefährlichkeit sich erst in der Haft herausstellte, etwa weil sie eine Therapie verweigern oder andere bedrohen. Auch die Bundesregierung hatte in der mündlichen Verhandlung so argumentiert.

Die betroffenen Länder – Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Thüringen – empfanden den Richterspruch nicht als Niederlage. „Wir haben uns schon immer für ein Bundesgesetz eingesetzt“, sagte Stuttgarts Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck (FDP). Nur weil die rot-grüne Bundesregierung – nicht zuletzt, um Konflikte in der Koalition zu vermeiden – mehrfach auf die Länder verwiesen hatte, beschloss Baden-Württemberg im März 2001 das erste entsprechende Landesgesetz.

Auf Bundesebene gibt es nun drei Möglichkeiten. Entweder man verzichtet ausdrücklich auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Dann müssen die jetzt Betroffenen Ende September entlassen werden, so die von Karlsruhe gesetzte Frist. Wahrscheinlicher ist aber, dass der Bund die Länderregelungen ins Strafgesetzbuch übernimmt. Denkbar ist außerdem, dass im Bundesgesetz eine Öffnungsklausel für weitergehende Länderregelungen eingefügt wird. Der grüne Rechtspolitiker Jerzy Montag erklärte sich gestern zu Verhandlungen bereit. „Auch bei der nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung muss ein Gericht Gutachter hören und in öffentlicher Verhandlung entscheiden“, so seine Bedingung, die aber bereits in allen Landesregelungen erfüllt ist. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat ohnehin keine Bedenken gegen die nachträgliche Anordnung der Sicherungshaft.