: rohstoff pornografie: thomas ruff „nudes“ (1)
Vielleicht hat die Aufmachung, die der Schirmer/Mosel Verlag den „Nudes“ angedeihen ließ, Thomas Ruffs Projekt nur zur Kenntlichkeit verholfen. Für diesen Fall allerdings wäre ich an Thomas Ruffs Stelle nicht besonders glücklich darüber. Denn falls er je den Rohstoff Pornografie, den er aus dem Internet auf seinen Computer herunterlud, dort zu Kunst, zu einem neuen Ansatz der Aktfotografie veredeln wollte: In der vorliegenden Form ist von Konzeptarbeit nichts mehr zu erkennen. Seine Motive scheinen beispielsweise plötzlich nur noch aus Frauen zu bestehen. Wer sich nun den Taschen-Bildband „Berlin Interiors“ und darin die Bilder von der Wohnung des Kunstsammlers Paul Maenz genau angeschaut hat, weiß aber, dass Männer in Ruffs „Nudes“-Serie genauso vertreten sind. In einem Interview bekannte Ruff sogar, dass er bei seinen Motiven auf die Quote achtete, und – anders als am Fundort Internet – das Geschlechterverhältnis im Lot hielt. Jetzt aber sehen seine „Nudes“ nur noch nach weichgezeichnetem, hyperperfektem Grafikdesign aus, das die schnuckligen, sexy Puppen in ihren unerhörten Posen gefällig anzuschauen macht. Es handelt sich bei Thomas Ruffs „Nudes“ (Schirmer/Mosel Verlag, München 2003, 168 Seiten, 99 Farbtafeln, 39,80 €) also um den berühmten hochwertigen Erotikband, wozu auch der Text des als „nouveau réactionaire“ verschrienen Starautors Michael Houellebecq bestens passt. Er weint, wie so oft, verlorenen Paradiesen hinterher, in diesem Fall einem Swingerclub, der als Schwulendisco (sic!) unterging. Selten wurde dem etwas ambitionierteren Mainstream so eindimensional zugearbeitet wie bei diesem Band. Eine Pleite für den Künstler Thomas Ruff, weil der Verleger Lothar Schirmer den Bestseller haben will. BRIGITTE WERNEBURG