Die roten Völker dieses Kontinents

Häuptling „Ulzanas“ Bewässerungsanlage: Im Frankfurter Filmmuseum widmet sich die Ausstellung „Winnetou und sein roter Bruder“ dem Indianerfilm in Ost und West. Dem Indianer-Alltag schenkten DDR-Filme mehr Aufmerksamkeit als die Westfilme

von MARC PESCHKE

Winnetou, der 1893 von Karl May in die Welt gesetzte Häuptling der Apachen, machte in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts noch einmal Karriere. Einen Film nach dem anderen musste der Häuptling drehen, über Berge klettern und Büffel jagen. Durchtrainierter Körper, schwarzblau glänzende Haare: edel und wie ein Naturphilosoph sah der Indianerhäuptling aus. Wenn er die Hand zur Stirn führte, um den Horizont nach Rauchzeichen abzusuchen, fiel gar nicht auf, dass sein Darsteller Pierre Brice Franzose war. Bei May war der Indianer eher ein Italiener: „Der Schnitt seines ernsten, männlich schönen Angesichtes, dessen Backenknochen kaum merklich vorstanden, war fast römisch zu nennen, und die Farbe seiner Haut war ein mattes Hellbraun, mit einem leisen Bronzehauch übergossen.“

Die international erfolgreichen deutschen Indianerfilme der 60er- und 70er-Jahre sind Thema einer Ausstellung im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main. Auch die DDR hatte eine erfolgreiche Indianerfilm-Produktion. Die realsozialistischen Defa-Bilder ähnelten freilich denen der freien Filmwirtschaft – das ist die These der Ausstellung. Vor allem deswegen, weil auf beiden Seiten der Indianerhäuptling zum edlen Superhelden überhöht wurde. Vorbild war dabei der Hollywood-Western, dessen Grundkonventionen übernommen wurden: die Gefahren der Wildnis, karstige Gebirgsketten, spektakuläre Wasserfälle. In der DDR sprach man trotzdem von „Abenteuerfilmen aus dem Milieu der Indianer“. Im Zentrum stand der amerikanische Mythos – die Besiedlung des Westens nach dem Bürgerkrieg, die Unterwerfung der Menschen und des weiten Landes.

Gedreht wurden die Indianerfilme von den Filmteams der BRD und DDR nicht im Grand Canyon, sondern in den Gebirgsmassiven Jugoslawiens – manchmal werkelten sie zeitgleich am Set. Doch die Landschaftsaufnahmen funktionierten: Selbst das Hollywood-Blatt Variety sprach Lob dafür aus.

Unterschiede gab es durchaus: So sprechen die Ost-Indianer in Filmen wie „Die Söhne der großen Bärin“ (1966), „Apachen“ (1973) oder „Der Scout“ (1983) einwandfreies Hochdeutsch. Im Westen hingegen verständigten sich die Indianer in einer Fantasiesprache zwischen „Howgh“ und „Uff“. Niemals hätte ein West-Indianer Sätze gesagt wie Häuptling Tecumseh in einer 1972 entstandenen Defa-Produktion: „Ich spreche im Namen der Geborenen dieses Bodens. Im Namen der roten Völker dieses Kontinents.“

Stärker als den Westproduktionen ging es der Defa um historische Genauigkeit – so basierte etwa „Die Söhne der großen Bärin“ auf einem Bericht der Historikerin Lieselotte Welskopf-Henrich, die umfangreiches ethnografisches Material in ihre Erzählung einarbeitete. Die Filmhistoriker des Deutschen Filmmuseums loben die Authentizität der Kostüme und der Requisiten – und verweisen darauf, dass gerade der Schilderung des Indianer-Alltags in den DDR-Produktionen mehr Aufmerksamkeit als im Westen zukam. Häufig erläutern zudem Voice-Over- Kommentare das Gezeigte. Doch wenn etwa Häuptling „Ulzana“ stolz seine neue Bewässerungsanlage vorführt, dann spricht aus ihm weniger Indianerstolz als die Freude des Genossen an den Errungenschaften des Sozialismus. „Der Weg in die Wildnis führt auf keinen neutralen Grund“, schreibt der Filmhistoriker Thomas Koebner – was der Gang durch die Ausstellung belegt: Die Geschehnisse in der Indianerwelt bleiben immer mit der unsrigen verbunden.

Doch auch die DDR konnte auf den in Hollywood erfundenen Reiz von Belagerungsszenen, Verfolgungsjagden und wilden Indianerüberfällen nicht verzichten. Vor allem aber brauchte auch die Defa einen publikumstauglichen Indianerstar, einen Western-Überhelden. War Pierre Brice als Apachenhäuptling in Filmen wie „Winnetou I–III“, „Unter Geiern“, „Der Ölprinz“ oder „Old Surehand“ eine reine Erfindung, so erzählt die Ausstellung von den Bemühungen der DDR-Filmemacher etwa in „Tecumseh“ mit dem kantigen jugoslawischen Mimen Gojko Mitić einen Indianerhäuptling historisch zu rekonstruieren – und trotzdem den Wünschen des Publikums gerecht zu werden. Im Nachspann verbürgen sich die Filmemacher ausdrücklich für die Historizität der Ereignisse.

Anhand vieler Filmsequenzen, originaler Kostüme, Szenenfotos, Entwurfsskizzen, Drehbücher, Kinotransparente, Zeitungsausschnitte und Requisiten ist im Deutschen Filmmuseum jetzt zu entdecken, wie aus Schauspielern „echte“ Indianer wurden. Sogar das Lederkostüm Winnetous, seine Silberbüchse und ein Saloon sind in Frankfurt zu bestaunen. Den Epilog der Ausstellung bildet eines der schönsten Filmbilder einer ganzen Generation: Winnetou und sein Blutsbruder Lex Barker alias Old Shatterhand reiten gemeinsam in den Sonnenuntergang.

Doch auch dieses Bild ist nicht neu: Schon ein durch den Indianerfotografen Joseph K. Dixon veröffentlichtes Buch trug den Titel „The Vanishing Race“. Das bekannteste Bild in Dixons Buch zeigt einen Indianer im Federschmuck, der in den Sonnenuntergang reitet – kurz davor, in die ewigen Jagdgründe einzugehen: Die Fotografie kündet mit wohligem Schauer vom bittersüßen Ende einer ganzen Kultur – als Gesetz der Evolution, die „Tragik einer sich im Todeskampf noch einmal aufbäumenden Rasse“, wie es in einem Voice-Over-Kommentar des „Schatz am Silbersee“ heißt. So erfüllt der Indianerfilm noch im späten 20. Jahrhundert, was die Indianerfotografie zur Zeit der Landnahme tat: die Illusion eines ursprünglichen Bildes festzuhalten – als die Politik der physischen Vernichtung, der Vertreibung und Zwangsassimilation schon lange Fakten geschaffen hatte.

Deutsches Filmmuseum Frankfurt/Main, Schaumainkai 41, bis 31. August