: Fischer auf Nahost-Mission
Deutscher Außenminister will Chancen für Umsetzung des „Friedensfahrplans“ ausloten. Dessen Erfolg hängt im Wesentlichen vom neuen palästinensischen Premier ab
JERUSALEM taz ■ Je näher die Truppen der Kriegskoalition an ihr Ziel in der irakischen Hauptstadt Bagdad heranrücken, desto nervöser wird die Stimmung im Jerusalemer Regierungshaus. Dabei ist es verständlicherweise weniger das Schicksal des irakischen Staatschefs Saddam Hussein, das Israels Regierungschef Ariel Scharon umtreibt, als vielmehr die Sorge wegen des nächsten Punkts auf der US-amerikanischen Agenda: des „Fahrplans“ zum Frieden zwischen Israelis und Palästinensern.
Wenn die USA mit Saddam fertig seien, komme Scharon an die Reihe, hieß es letzte Woche in amerikanischen Berichten, die sich auf ein Gespräch mit US-Außenminister Colin Powell berufen. Scharon selbst gibt sich bedingt zuverlässig: „Jetzt, und ich betone: jetzt, sind unsere Beziehungen zu den Amerikanern sehr gut.“ Israel werde „nicht den Preis für den Krieg bezahlen“, kündigte er an.
Nicht nur Scharon, auch Mahmud Abbas (Abu Masen), künftiger palästinensischer Premierminister, hat es nicht gerade eilig mit der Veröffentlichung des „Fahrplans“. Die Initiative der USA, der UNO, der Europäischen Union (EU) und Russlands verlangt beiden Seiten klare Zugeständnisse ab. Während Israel aufgefordert ist, nicht nur sofortige Maßnahmen zur Erleichterung der palästinensischen Lebensumstände, sondern vor allem den Baustopp jüdischer Siedlungen einzuleiten, muss der neue Chef in Ramallah den gewaltvollen Widerstand bannen.
Abu Masen hat bereits „um mehr Zeit“ für Gespräche mit der Hamas und dem Islamischen Dschihad gebeten, die er – wenn möglich parallel zu einem Waffenstillstand – an seiner neuen Regierung teilhaben lassen will. Ob der „Fahrplan“ eine reelle Chance hat oder nicht, hängt zuallererst an Abu Masens Erfolg. Gelingt es ihm, die Lage zu kontrollieren, wird Washington Druck auf Israel ausüben, den eigenen Verpflichtungen nachzukommen. Zeigt sich hingegen, dass Abu Masen nicht in der Lage oder willens ist, den Terror einzudämmen, kann auch Scharon nicht zur Einstellung des Siedlungsbaus gezwungen werden.
Mit beiden Politikern wird Bundesaußenminister Joschka Fischer zusammenkommen, der gestern seine dreitägige Nahostreise angetreten hat und der erste europäische Minister ist, der Israel seit dem Beginn des Irakkrieges besucht. Der Besuch sei „bereits länger geplant“ gewesen, hieß es auf Anfrage aus der deutschen Botschaft in Tel Aviv. In erster Linie gehe es dabei um „Kontakte zu der neuen Regierung“.
Jerusalem begrüßt den „Besuch von einem Freund Israels, der auch kommt, um seine Solidarität zu demonstrieren“, so ein Regierungsbeamter. Das sei umso wichtiger, als Fischer nicht nur die Bundesrepublik, sondern auch die Europäische Union vertrete.
Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Israel sind stark belastet. Der Prozess gegen Ariel Scharon, dem vor einem belgischen Gericht Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt wurden, sowie jüngste Äußerungen des britischen Ministerpräsidenten Tony Blair, der die Offensive gegen Saddam Hussein in einem Atemzug mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt nannte, wurden in Jerusalem mit wenig Sympathie aufgenommen.
Eine der von israelischer Seite geforderten einhundert Änderungen des „Fahrplans“ ist die Betonung, dass die Kontrolle einer Umsetzung des Prozesses ausschließlich den Amerikanern vorbehalten ist. Die EU mache schließlich „nur ein Viertel des Quartetts“ aus, so ein Regierungsbeamter. Mehr Einfluss stehe ihr deshalb auch nicht zu.
Dass das Weiße Haus, das schon vor der irakischen Offensive von weiten Teilen der Palästinenser als „Marionettentheater der jüdischen Lobby“ gehandelt wurde, ganz ohne europäische Hilfe im Nahen Osten vermitteln kann, ist heute jedoch illusorischer als je zuvor. In Gaza wird seit zwei Wochen wieder die irakische Flagge gehisst, und überall hängen die Bilder von Saddam Hussein. Deutschlands klares Nein zum Krieg könnte Joschka Fischer, der wie kein anderer europäischer Politiker auf beiden Seiten Wertschätzung genießt, den Weg ebnen, sollte er aus dem Weißen Haus um entsprechende Unterstützung gebeten werden. SUSANNE KNAUL