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Peter Glaser liest im Literaturzentrum aus „Geschichte vom Nichts“Wirklichkeitssplitter sammeln

„Vervielfacht zu einem Gleichschritt der Bilder zeigte sich auf Monitorwänden der Sieg der Ferne. Das Fernzusehende war zur einzig bedeutenden Wirklichkeit geworden, und beide spürten sie, wie die Nähe endgültig zu schwinden schien.“

Um den Verlust, mehr noch aber um ein Wiedererlangen dieser Nähe, die nur jenseits der virtuellen Wirklichkeiten zu haben ist, geht es in Peter Glasers neuem Erzählband Geschichte von Nichts, aus dem er im Literaturzentrum liest. In fünf Erzählungen lässt er seine Figuren haltlos, aber nicht verloren umeinander kreisen und knüpft ein Geschichtennetz, in dem die Randfigur der einen zum Zentrum der anderen Erzählung wird.

Glaser hat für leicht nacherzählbare Geschichten nichts übrig, nichts für den bestimmten Anfang und das auflösende Ende. Und so steigt er ein in die Leben seiner Figuren, verfolgt sie eine Weile, um sie dann wieder zu verlassen, denn mehr als ein Blick in die beständige Bewegung scheint nicht möglich. Dieser Blick aber geht tief und zeichnet die Charaktere genau. Zum Beispiel Toni Fischkorn, der arm ist und Genüssen nachgeht, die nichts kosten. In der Kellerwohnung sitzt er „der Küchenwand so nah zugewendet, als habe er mit ihr Vertraulichkeiten. (...) er lauschte, um Musik zu hören, eigentlich aber einfach, um still zu sein.“ Die Musik kommt aus einer anliegenden Wohnung. In der Sensibilisierung für Töne und Stille liegt eine Chance, Wirklichkeitssplitter zu sammeln, dem Wegdriften in virtuelle Ferne zu entgehen. Solche Sammler sind alle Figuren Glasers. „Es waren seine Blicke, von denen die Welt zusammengehalten wurde, sie stützten die Dinge wie ein Mieder aus Achtsamkeit, und er bemühte sich, seine Umgebung durch Anschauen am Auseinanderbrechen zu hindern. Jemand schüttete ihm einen Eimer warmes, glosendes Licht ins Gesicht.“

Glaser war ein Vordenker des Internet, ein Spezialist der Computer-Zunft. Er ist tief eingetaucht in jene elektronischen Realitäten, die ihm jetzt so fragwürdig erscheinen. Deren Omnipräsenz setzt er nach langem literarischem Schweigen nun den eigenen Blick aufs Detail entgegen. Das Sehen als bedeutungsstiftender Akt. In der Virtualität des Cyberspace löst sich die Materialität des Körpers auf – Glasers Figuren aber sind durch ihren Körper in der Welt. Nicht nur, wenn diese ihnen schmerzlich zu Leibe rückt, wie Fischkorn die Maschinen in der Papierfabrik, die ein Muster von Schnitten auf seinen Armen hinterlassen. Auch seine Sehnsucht nach Jannika oder die Empfindung des Ich-Erzählers der Titelgeschichte nach einem Liebesverrat beschreibt Glaser als sinnliche Erfahrungen.

Von den Strategien der Wirklichkeitseroberung erzählt der Autor in einer bilderreichen Sprache. Er geht den Wortbedeutungen auf den Grund, schöpft sie aus. Und dabei gelingen ihm viele wunderbare Sätze. Eine Vorliebe hat er für die Formen des Lichts und die Blicknischen, in denen eine Art Natur auch in der Urbanität ihre Poesie entfaltet: „Unter dem späten Licht öffnete sich der Fluss spiegelnd zu einem tieferen Himmel. Die letzten Schwimmvögel zogen Spuren über das polierte Wasser, wie Glasschneider.“ Glaser ist seinen Figuren ganz zugewandt, ihrem Ringen und den Momenten ihres tief empfundenen In-der-Welt-Sein. Er ist ein sehr moderner Erzähler, der sich die Emphase erlaubt, eine seltene und wunderbare Kombination.

CAROLA EBELING

Peter Glaser: Geschichte von Nichts. Köln 2003, 192 S., 16,90 Euro Lesung: Mo, 16.2., 20 Uhr, Literaturzentrum, Schwanenwik 38

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