: Seminare dürfen online lesen
Rechtsausschuss berät heute Novellierung des Urheberrechtsgesetzes. Fachverlage sehen sich durch Online-Nutzung in wissenschaftlichen Intranetzen bedroht
FREIBURG taz ■ Im Streit um das neue Urheberrecht ist Rot-Grün zu einem Kompromiss bereit. Der so genannte Wissenschaftsparagraf soll zeitlich befristet werden. Wissenschaftsverlage sahen sich durch die Neuregelung in ihrer Existenz bedroht. Heute wird der Rechtsausschuss die Gesetzesnovelle behandeln, am Freitag soll das Plenum das Gesetz beschließen.
Der von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) vorgelegte Gesetzentwurf versucht, das Urheberrecht für das Online-Zeitalter fit zu machen. Als neue Nutzungsart wird das „öffentliche Zugänglichmachen“ eingeführt – ein „Online-Recht“, das dem Urheber zusteht, für die Online-Nutzung eines Fachbuches Gebühren zu erheben.
Als Ausnahme zugunsten der Wissenschaft will Rot-Grün aber festschreiben, dass Teile von Büchern und Fachzeitschriften „für bestimmt abgegrenzte“ Nutzergruppen in Uni-eigene Intranetze gestellt werden dürfen. Was bisher auf Papier genehmigungsfrei kopiert werden durfte, soll jetzt auch online ausdrücklich erlaubt werden. „Es geht nicht um das jedem zugängliche Internet“, betont Zypries, „sondern um Schulklassen, Uni-Seminare, Forscher.“
Verlage und Börsenverein des deutschen Buchhandels griffen die von der EU angestoßene Reform jedoch frontal an. Nach ihrer Darstellung würde es künftig genügen, wenn eine einzige deutsche Bibliothek ein Fachbuch kauft. Über verschiedene Zwischenschritte könnte das Buch dann für alle online zugänglich gemacht werden. Damit breche das gesamte Finanzierungssystem wissenschaftlicher Publikationen zusammen, klagt der Börsenverein.
Für den federführenden SPD-Experten Jörg Tauss ist das eine „Desinformationskampagne“, die vor allem mit „Verschwörungstheorien“ arbeite. Bibliotheken seien im „Wissenschaftsparagraf“ 52 a des neuen Urheberrechtsgesetzes gar nicht erwähnt. Und für Lehrzwecke könnten nur jeweils zehn Prozent eines Buches ins Intranet gestellt werden, zu dem via Passwort Mitglieder eines Seminars Zugang haben. Nur in der Forschung dürften Bücher auch umfassender digitalisiert werden, der Zugang müsste aber auch hier auf eine konkrete „Forschergruppe“ beschränkt bleiben. Schulbücher sind auf Druck der Verlage von dieser Sonderregelung sogar ganz ausgenommen.
Die Regierungsfraktionen wollen heute im Rechtsausschuss einen letzten Versuch unternehmen, die Verlage zu besänftigen. Paragraf 52 a soll im Jahr 2006 automatisch auslaufen, sodass der Bundestag dann prüfen kann, ob die düsteren Prophezeiungen eingetroffen sind. Außerdem wird die Justizministerin aufgefordert, das Verhalten der Hochschulen „sorgfältig zu beobachten“ und „unverzüglich“ Korrekturen einzuleiten, falls Unis tatsächlich kaum noch Bücher kaufen. Das Gesetz regelt auch den Kopierschutz für digitale Medien (taz vom 12. 12. 2002). Freitag soll es im Bundestag beschlossen werden und bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrats. CHRISTIAN RATH