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Archiv-Artikel

Sondergerichtshof für die Zeit nach Saddam Hussein

Die Art der juristischen Aufarbeitung von Verbrechen des irakischen Regimes schält sich heraus. Der neue Irak soll mit US-Hilfe ein Tribunal einrichten

BERLIN taz ■ Die Liste der Verbrechen des irakischen Regimes ist lang: Überfall auf die Nachbarländer Iran und Kuwait, Einsatz von chemischen Waffen gegen iranische Soldaten und kurdische Zivilisten, Zerstörung der schiitischen Marschgebiete, Massenhinrichtungen und Folter.

Unisono fordern die Bush-Administration, irakische Oppositionelle und Menschenrechtsorganisationen deshalb, das Saddam-Regime wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Krieg vor Gericht zu bringen. Allen voran die Führungsclique um Saddam Hussein. Dass viele aus dieser Clique aber den Krieg überleben, scheint nach dem Tod von Ali Hassan al-Madschid, von den Kurden wegen seiner Verantwortung für die Chemiewaffeneinsätze nur „Chemie-Ali“ genannt, wenig wahrscheinlich.

Verschiedene Varianten der juristischen Aufarbeitung werden diskutiert. Dass der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag angerufen wird, ist nicht möglich. Zwar haben Organisationen wie Human Rights Watch (HRW), die Iraq Foundation und die in London ansässige Indict Campaign umfangreiches Beweismaterial gesammelt, das die individuelle Verantwortung der Führungsriege zeigt, doch ist der ICC nur für Taten zuständig, die nach dem 1. Juli 2002 begangen wurden. Zudem sind ihm weder der Irak noch die USA beigetreten.

Möglich wäre dagegen eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag – eine Strategie, die lange Zeit von Human Rights Watch verfolgt wurde. Die Organisation plädierte dafür, das Gericht wegen Verbrechen gegen die kurdische Minderheit im Jahr 1988 auf der Grundlage der Genozidkonvention von 1948 anzurufen. Doch fand sie dafür in der Staatengemeinschaft kaum Unterstützung – auch die Bundesregierung und Frankreich lehnten dies ab.

Deshalb favorisieren Menschenrechtsorganisationen, aber auch Teile der irakischen Opposition und der Bush-Regierung die Einrichtung eines Iraktribunals. Allerdings gehen die Vorstellungen darüber, wo ein solches Tribunal angesiedelt sein soll, weit auseinander.

Die Arbeitsgruppe aus irakischen und internationalen Juristen, die im vergangenen Sommer vom US-Justizministerium ins Leben gerufen wurde, plädiert für die Einrichtung eines irakischen Sondergerichtshofs, vor dem international geächtete Verbrechen zur Anklage kommen sollen. Umstritten ist, ob diesem Gericht nach dem Muster des Sondergerichtshofs in Sierra Leone neben nationalen auch internationale Richter angehören sollen. Dieser Prozess müsse von den Irakern bestimmt werden, hat der US-Sonderbeauftragte für Kriegsverbrecher, Pierre-Richard Prosper, inzwischen erklärt. Washington werde jede erdenkliche Hilfe leisten, grundsätzlich sei es aber eine irakische Angelegenheit. Die in London ansässige irakische Juristenvereinigung geht von der optimistischen Einschätzung aus, dass von den 500 irakischen Richtern die Hälfte in die künftige Justiz übernommen werden kann.

Ein internationales Ad-hoc-Tribunal wie im Fall von Jugoslawien oder Ruanda wurde von ihr als zu zeitaufwendig und teuer verworfen – ein Argument, das auch aus dem Umfeld der Bush-Administration zu hören ist.

Die Verwicklung der mittleren und unteren Chargen des Partei- und Sicherheitsapparats in die zahllosen Verbrechen soll hingegen im Rahmen einer Art Wahrheitskommission nach dem Beispiel Südafrikas aufgearbeitet werden. Die Dissidenten erhoffen sich davon eine schnellere Transformation des Irak in einen Rechtsstaat.

Im Falle der Einrichtung eines Sondergerichts warnen Menschenrechtsorganisationen, dass es diesem an der nötigen Legitimität mangeln könnte, sollte es nicht unter der Ägide der UNO, sondern einer amerikanischen Militärverwaltung einberufen werden. Ein irakisches Sondergericht mit amerikanischen Beratern im Hintergrund könne leicht als Marionettentheater wahrgenommen werden, sagte Richard Dich von HRW. Zudem seien die derzeit im Irak tätigen Richter selbst Teil des Repressionsapparats.

Darüber hinaus weisen Menschenrechtsgruppen darauf hin, dass für ein lokales Tribunal ein hohes Maß an Konsens der beteiligten Gruppen unabdingbar ist. Genau daran mangelt es der Opposition trotz aller Anstrengungen aber weiterhin. Nach 35 Jahren Diktatur gibt es heute im Irak nur wenige, die sich die Hände nicht schmutzig gemacht haben. Um die Gefahr zu vermeiden, dass das Tribunal im Sumpf geheimdienstlicher Intrigen und Denunziation versinkt und dem Regime zu einem späten Sieg verhilft, fordert HRW die Einberufung eines UNO-Tribunals – ein Vorschlag, den das Pentagon rundherum ablehnt.

Dort will man stattdessen Militärgerichte einsetzen, die dann sowohl über Kriegsverbrechen im jetzigen Krieg als auch über die früheren Untaten des Regimes urteilen sollen. Falls es überhaupt soweit kommt: Jüngsten Medienberichten zufolge sind im Irak amerikanische Geheimkommandos unterwegs, um Saddam und seine Entourage zu eliminieren. Ganz oben auf der Liste stand Ali Hassan al-Madschid. Darüber hinaus sollen Gefangene, die von den US-Truppen als „irreguläre Kombattanten“ klassifiziert werden und denen sie den Kriegsgefangenenstatus aberkennen, nach Guantánamo verbracht werden – dazu sollen alle Personen zählen, die nicht der Armee angehören. Damit wären sie der Rechtsprechung im Irak entzogen.

INGA ROGG