: Die Stimme des Herrn
Professionelle Onlinemedien genügen nur selten den Ansprüchen des seriösen Journalismus. Werbetexte sind von den eigenen redaktionellen Berichten oft kaum zu unterscheiden
von MATTHIAS SPIELKAMP
War Bill Gates nun erschossen worden oder nicht? Gemeldet hatte den Tod des Microsoft-Gründers der südkoreanische Fernsehsender MBC-TV. Die Börsenkurse in Südkorea fielen um 1,5 Prozent. Eine Viertelstunde später kamen die Entschldigungen. Die koreanischen Fernsehredakteure waren auf den Aprilscherz einer täuschend echt kopierten Webseite von CNN hereingefallen.
Journalisten sollten gelernt haben, Senationsmeldungen zu misstrauen. Was aber bedeuten sie für gewöhnliche Onlineleser? Glauben sie, was im Netz steht? Nach einer Studie der Online News Association in den USA finden sie es am wichtigsten, dass genau, vollständig und fair berichtet wird, das Angebot vertrauenswürdig, die Informationen aktuell sind und die Quellen detailliert und spezifisch angegeben werden. Dass deutlich zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt getrennt wird, war ihnen nur einen neunten Platz wert, noch hinter dem Wunsch, dass die Artikel keine Rechtschreib- und Grammatikfehler enthalten.
Das dürfte die Anbieter von Nachrichtenseiten freuen. Denn auf der Suche nach Einnahmequellen greifen sie zu Methoden, die die Grenzen zwischen Nachrichten und Werbung verschwimmen lassen. So beliefert etwa der Elektronikkonzern Sony Websites mit „Advertorials“, Artikeln, die von sonyfinanzierten Autoren geschrieben und nur durch den unscheinbaren Zusatz „feature by Sony advertising series“ markiert sind.
Auch in Deutschland hat diese Werbeform Einzug gehalten. In einem „Infomercial“ beispielsweise konnten sich die Leser von n-tv.de über Gesundheitsthemen informieren. Alles im Look einer gewöhnlichen n-tv-Seite und sogar im Hauptmenü verlinkt, lediglich versehen mit dem Schriftzug der „Deutsche Krankenversicherung AG (DKV)“.
Man könne sich darüber „streiten“, ob das sofort zu erkennen war, sagt Hanno Hall, stellvertretender Leiter des n-tv-Onlineangebots. Ein Problem kann er nicht erkennen, weil die Nutzer „mündiger“ geworden und „nicht mehr so empfindlich“ seien. „Früher bekam man böse E-Mails, wenn sich auf der Seite mal ein Pop-up-Fenster geöffnet hat, inzwischen haben die Leute begriffen, dass wir von irgendwas leben müssen.“
Da ist Christoph Neuberger etwas anderer Ansicht. Der Kommunikationswissenschaftler von der Uni Münster erforscht seit Jahren, wie Webangebote genutzt werden und sich verändern. Er glaubt, dass die Erfahrung mit dem Onlinemedium noch nicht so groß ist wie mit Presse, Hörfunk und Fernsehen. Darüber hinaus sei es im Internet viel einfacher, Inhalte miteinander zu vernetzen und dabei die Übergänge von einer Seite auf eine andere zu verschleiern. Neuberger plädiert daher für Regelungen, die sich am deutschen Presserat orientieren. „Werbetexte, Werbefotos und Werbezeichnungen sind als solche kenntlich zu machen“, steht in dessen Kodex festgeschrieben, eine simple Formulierung, die durch jahrelange Spruchpraxis des Rates zu Beschwerden der Leser differenziert wurde.
Doch in Deutschland gibt es nicht einmal einen Verband der Onlinepublikationen, der einen solchen Kodex aufstellen könnte. „Der wäre aber wichtig, denn ein Verband könnte solche Fragen zur öffentlichen Diskussion bringen und zeigen, wie relevant das Thema ist“, sagt Neuberger. Auch die Journalisten-Gewerkschaften müssten sich engagieren, doch die kümmerten sich derzeit mehr darum, wie Onlinejournalisten bezahlt werden.
Von Lesern für Leser
Dennoch gibt es einige Initiativen in dieser Richtung. So hat sich die nur im Internet erscheinende „Netzzeitung“ bereits einen eigenen Kodex gegeben. Kommerzielle Seiten dürfen nur verlinkt werden, „wenn es dem Informationsbedürfnis der Leser dient“. Für Chefredakteur Michael Maier muss dieTrennung zwischen Geschäftsinteressen und Journalismus klar sein: „Der Leser hat große Geduld mit Pop-ups, aber in dem Moment, in dem er sich fragt: Ist das ein redaktioneller Inhalt oder ist das Werbung“, ist er weg und kommt nicht wieder.“ Noch schlimmer als die Advertorials sei es jedoch, wenn sich Onlineredaktionen als Sprachrohr des Mutterhauses betätigen. „Das ist ekelhaft, und das spüren die Leser“, glaubt Maier und hofft auf einen Misserfolg solcher Methoden. Im Internet finde nämlich „eine Kulturveränderung“ statt. Journalismus beruhe nicht mehr auf Herrschaftswissen, denn online könne jeder Leser die Quellen überprüfen.
Das alte Selbstverständnis des Journalismus als Wächter über die Inhalte wird aber auch durch Peer-to-Peer-Modelle in Frage gestellt. Nutzer schreiben für andere Nutzer, ohne sich als Journalisten zu verstehen, und kontrollieren sich gegenseitig. In Deutschland versucht sich die Regensburger Firma www.Short News.com an diesem Prinzip. Die Nutzer fassen Nachrichten, die sie interessant finden, zusammen und fügen sie mit Quellenangabe online in das System ein. Dort werden sie von Nutzern, die mit der Aufsicht beauftrag sind, entweder ins Netz gestellt, redigiert oder abgelehnt. Anschließend können alle angemeldeten Leser die Artikel kommentieren und bewerten. Wer beständig gut bewertet wird, kann selbst zum Webreporter aufsteigen, und darf Artikel freischalten. Außerdem bekommen die Einsender für gut bewertete Artikel Punkte, die sie gegen Sachpreise eintauschen können.
Der Stern hat dieses Angebot als „sternshortnews“ in die eigene Onlineausgabe eingebaut. Dass derartige Formen von Journalismus auf Dauer Erfolg haben und als glaubwürdig gelten können, beweisen Websites wie slashdot.org, die weltweit als eine der wichtigsten zum Thema Informationstechnik gilt.
Davon ist ShortNews.com weit entfernt. Das erklärte Ziel liegt darin, die „interessantesten“ Meldungen zu veröffentlichen. Ob sich das ohne weiteres mit Glaubwürdigkeit vereinbaren lässt, bezweifelt Neuberger. Aber ebendeswegen findet er „diese Systeme der Qualitätssicherung so spannend, bei denen man schauen muss, was sie leisten und was dabei herauskommt. Sicher auch die eine oder andere Ente. Aber davor sind die echten Journalisten auch nicht gefeit.“