Historische Stunde mit Dissonanz

EU-Parlament stimmt für Osterweiterung. Finanzpolitik sorgt in Brüssel für Ärger

BRÜSSEL taz ■ Fast hätte der schnöde Mammon gestern die feierliche Erweiterungsabstimmung im Europaparlament ruiniert. Die EU-Beamten fürchten, dass sie im Rahmen der internen Reform des Besoldungssystems Privilegien verlieren. Deshalb schalteten Techniker am Vormittag die Mikrofone im Plenum aus und machten so die Simultan-Übersetzung unmöglich. Vor dem Sitzungssaal versammelten sich Bedienstete zu einer Demo, um gegen befürchtete Rentenkürzungen zu demonstrieren.

Doch auch hinter den Kulissen sorgten Finanzfragen für Aufregung. Der Rat hatte den in Kopenhagen erzielten Kompromiss über Strukturmittel und Agrarhilfen für die neuen Mitglieder an die Beitrittsverträge angehängt, ohne zuvor die Zustimmung des Parlaments einzuholen. Damit hatten die Regierungschefs klar gegen die interinstitutionelle Vereinbarung verstoßen. Sie sieht vor, dass in Fragen, die die mehrjährige Finanzplanung betreffen, der Rat sich mit Parlament und Kommission abstimmen muss.

Seither haben sich die drei Institutionen mehrfach zum so genannten „Trilog“ getroffen, zuletzt vergangene Woche in Athen. Doch eine Einigung kam erst in letzter Minute zustande, am Dienstag in Straßburg. Sie hilft dem Parlament, sein Gesicht zu wahren und eine drohende Aushöhlung seiner Rechte zu stoppen. 480 Millionen Euro zusätzlich, bezogen auf die Preise von 1999, bewilligt der Rat für Programme aus dem Bereich Jugendförderung und Forschung.

Zudem werden die in Kopenhagen beschlossenen „Vorbeitrittshilfen“ für die Türkei in „Heranführungsstrategie“ umbenannt. Der Rat wollte beim Gipfel im Dezember mit diesem Sprachtrick den Frust Ankaras dämpfen. Denn der türkische Premier musste ohne Datum für den Beginn der Beitrittsverhandlungen zurückfahren. Das Parlament legt aber Wert darauf, auch sprachlich zwischen dem Kandidatenstatus von Rumänien und Bulgarien und dem ewigen Bewerber Türkei zu unterscheiden. In der konservativen Fraktion des Europaparlaments gibt es starke Vorbehalte gegen einen EU-Beitritt der Türkei.

Am Ende störte weder dieser Streit noch der Beamtenstreik die, so der außenpolitische Sprecher der Konservativen, „historische Stunde“. Elmar Brok erinnerte an den Auftrag Konrad Adenauers, „Deutschland aus seiner geografischen Lage herauszuführen.“ Außer mit der Schweiz habe Deutschland keine Außengrenze mehr – die historische Aufgabe sei erfüllt. Mit 520 Jastimmen bei 50 Ablehnungen und Enthaltungen stimmte das EU-Parlament gestern der Erweiterung der Union um zehn Staaten Osteuropas plus Malta und Zypern zu. DANIELA WEINGÄRTNER