Kursleiter in der Rentenfalle

Wer als „freiberuflich Lehrender“ über 400 Euro im Monat verdient, muss Rentenversicherung zahlen. Das tun die meisten nicht – ihnen drohen horrende Nachzahlungen. Tausende sitzen in der Falle, wie die Bremer VHS-Kursleiterin Brigitte S.

taz ■ Brigitte S. traute ihren Augen nicht, als sie vor ein paar Wochen die Post aufmachte: einen Brief der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), der sie auffordert, etwa 25.000 Euro nachträglich in die Rentenkasse einzuzahlen. Begründung: Das sei eine Nachzahlung für vier Jahre. „Ich habe gar nicht so viel verdient in dieser Zeit“, sagt die Kursleiterin bei der Bremer Volkshochschule. Mit den Kursen hält sie sich gerade über Wasser. 25.000 Euro bezahlen? „Absolut lächerlich“, sagt Brigitte S. „Der Staat ist unfähig, das Problem vernünftig zu lösen.“

Der Bremer Berater der BfA, Bernd Gronemeier, hat volles Verständnis für das Unverständnis der VHS-Honorarkraft. Aber, sagt er, die Rechtslage ist nun mal so. „Das Gesetz lässt uns keinen Ermessensspielraum.“ Und das Gesetz sieht vor, dass freiberuflich Lehrende ab einer bestimmten Einkommensgrenze (inzwischen 400 Euro im Monat) Rentenversicherungsbeiträge zahlen müssen – die vollen 19 Prozent auf ihr Honorar. Wenn sie sich nicht melden bei der BfA und irgendwann nachträglich „erwischt“ werden, müssen sie für vier Jahre den vollen Regelsatz bezahlen, und der liegt bei 464 Euro pro Monat.

Brigitte S. hat sofort ihre VHS-Stunden reduziert, um wenigstens für die Zukunft unter die Freigrenze zu rutschen. Und sie hat einen Anwalt eingeschaltet. Beim Sozialgericht ist bisher kein Musterverfahren gelaufen, obwohl doch Tausende betroffen sind, allein in Bremen. Nicht nur alle Honorarkräfte bei Weiterbildungseinrichtungen, sondern genauso Sportlehrer oder Fahrschullehrer, die insgesamt mehr als 400 Euro pro Monat als Honorar verdienen.

Im Jahr 2000 gab es eine große Diskussion über die Rentenversicherungspflicht der freiberuflich Lehrenden. „Wir weisen seitdem alle Honorarkräfte auf die Rentenversicherungspflicht hin“, sagt die VHS-Leiterin Barbara Loer. „Ob sie sich aber bei der BfA melden oder nicht, das ist Sache der Kursleiter.“ Das Honorar liegt derzeit bei 18 Euro pro VHS-Stunde. Dass man davon schlecht 3,50 Euro Rentenversicherung abzweigen kann und dann auch Steuern und Krankenversicherung, weiß Loer. Aber: „Wir haben das Geld nicht, um den Kursleitern einen Beitrag für ihre Rentenversicherung aufzuschlagen. Das geht allen Bildungsträgern in Deutschland so.“ Die meisten Kursleiter sind bei der BfA aus diesem Grunde nicht gemeldet, das ahnt auch die VHS-Leiterin. Aber das ist eben Privatsache.

Und es fliegen immer mehr auf. Früher haben die Krankenversicherungen die Betriebsprüfungen gemacht, jede für sich, und nicht auf die Rentenversicherung geachtet. Inzwischen macht die BfA die Betriebsprüfungen für alle Krankenversicherungen - und guckt natürlich auch nach den Rentenbeiträgen. Und die BfA guckt jahrgangsweise nach, wer nichts in die Rentenversicherung eingezahlt hat. „Kontenklärung“ heißt diese Kontrolle, demnächst ist Jahrgang 1957 dran.

Die Berater von der Rentenversicherung wissen, dass die Regelung angesichts der geringen Honorare eigentlich unmöglich ist und gucken in ihrer Beratung gern einmal weg. „Wenn ein Kursleiter sich nicht bei uns meldet, erfahren wir nicht, dass er Rentenversicherungspflichtig ist“, sagt der BfA-Mann. Dass die Dunkelziffer gigantisch ist, weiß die BfA natürlich.

Wenn die BfA alle Versicherungspflichtigen zur Kasse bitten würde, dann müssten die Etats für die Bildungsträger erhöht werden. Nur wer bei der VHS Musik unterrichtet, hat Glück gehabt: Für Künstler und Publizisten gibt es die „Künstlersozialkasse“, da müssen die Bildungsträger die Hälfte der Rentenversicherung einzahlen. Das tut auch die VHS. Die anderen „freiberuflich Lehrenden“ kriegen nichts und sind dumm dran. „Das ist für die Betroffenen ein echtes Problem“, sagt VHS-Leiterin Loer. Im Grunde hatten sich alle Seiten mit dem halblegalen Zustand arrangiert – wer auffliegt wie Brigitte S., ist selbst schuld und ganz schön dumm dran. Klaus Wolschner