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Archiv-Artikel

Ertrunken fürs Vaterland

Die Marine muss sich nun doch für den tödlichen See-Unfall eines Soldaten aus Westfalen verantworten. Dies entschied das Landgericht Oldenburg

Zwanzig Minuten schwamm sein Sohn in der eiskalten Ostsee bevor er erfror. Ein Rettungsboot kam nicht

VON ANNIKA JOERES

Wolfgang Scheffelmeier kann nun die Bundeswehr verklagen. Zwei Jahre, nachdem sein Sohn Samuel bei einem Manöver in der Ostsee ertrank, wird nun gegen die Marine ein Verfahren eröffnet. Dies teilte die Staatsanwaltschaft Oldenburg in der vergangenen Woche mit. „Ich will keine Rache“, sagt Scheffelmeier, „sondern Aufklärung“. Und dass die Bundeswehr endlich Verantwortung übernimmt für den Tod seines damals 21-jährigen Sohnes Samuel und den ebenfalls ertrunkenen Kameraden Stefan Paul, 22 Jahre alt.

Der Wunsch des Vaters aus dem westfälischen Blomberg scheint sich zu erfüllen: Der Kommandant der Fregatte „Mecklenburg Vorpommern“ wird wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Oldenburg (OLG) hätte einer der Soldaten „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ überleben können, wenn der angeschuldigte Schiffsführer „gebotene und zumutbare Maßnahmen“ ergriffen hätte. Noch vor einem Jahr hatte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren mit der Begründung eingestellt, Hauptursache für den Tod von Samuel sei die nachlässig angelegte Rettungsweste gewesen. Das OLG Oldenburg hatte dann in einem Klageerzwingungsverfahren auf Antrag von Wolfgang Scheffelmeier die Anklage erhoben.

Die beiden Soldaten waren beim Übersetzen von der „Mecklenburg-Vorpommern“ zur britischen „HS Cumberland“ mit einem Beiboot der britischen Fregatte gekentert und in der eisigen Ostsee ertrunken. Die Marine erklärte die tragischen Todesfälle zu einem bedauerlichen Unglück, für den niemand Verantwortung trage. Im Gegenteil, die Bundeswehr dankte sogar den Schiffsbesatzungen für die „hervorragende Rettungsaktion.“ Wenn überhaupt, dann habe Samuel Scheffelmeier nachlässig gehandelt und die Rettungsweste nicht richtig angelegt. „Unser Junge wurde zum Deppen erklärt“, sagt sein Vater. Dabei sei sein Sohn ein absolut akribischer Mensch gewesen. Seitdem sucht Scheffelmeier die „wahre Version“ der Geschichte. Das ist schwierig, weil von den 900 Soldaten auf den Schiffen später nur drei als Zeugen befragt wurden. „Wir kämpfen gegen ganz Deutschland“, sagt Scheffelmeier. Er wollte nach dem Tod seines Sohnes die Akten einsehen, erst nach monatelangen juristischen Kämpfen gelang dies. Beim Lesen der Protokolle wurde klar: Bei der Rettungsaktion „ist alles falsch gemacht worden.“ Auf der Fregatte klemmte das Rettungsboot, es gab zu wenig Seile, der Kran funktionierte nicht und das Notrufsignal wurde erst gar nicht eingeschaltet. Sein Sohn sei zwanzig Minuten in der 3 Grad kalten Ostsee allein gelassen worden, er habe noch gewunken und um Hilfe gerufen, bevor er schließlich erfror.

Nach den von Scheffelmeier in Auftrag gegebenen Gutachten war das ganze Manöver „stümperhaft.“ Bei einem solchen Seenotfall wäre es zudem die Pflicht aller beteiligten Schiffe gewesen, sich aktiv an der Rettung zu beteiligen. Stattdessen habe sich die deutsche Fregatte passiv verhalten, dies sei aus seemännischer Sicht „vollkommen unverständlich.“

Ende März soll der Prozess beginnen. Wolfgang Scheffelmeier will dann endlich öffentlich sagen, was ihm auf der Seele brennt: „Schickt eure Söhne nicht zur Bundeswehr.“ Die müssten für das Land ihr Leben einsetzen, und wenn sie Hilfe brauchen, sei niemand für sie da.