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Archiv-Artikel

Ein Euro in der Drehtür

Am 29. Februar wählt Hamburg. Über die wichtigsten Themen lässt die taz Experten mit Politikern debattieren. Heute im Streitgespräch über Sozialpolitik: Landespastorin Annegrethe Stoltenberg und Schattensozialsenator Christian Bernzen (SPD)

„Es ist ein Problem, dass gesellschaftliche Arbeit nicht gesehen und honoriert wird“: Annegrethe Stoltenberg„Wir wollen weg von der Sprache der Verdächtigung“: Christian Bernzen

Moderation: KAIJA KUTTER

taz: Herr Bernzen, Sie wollen mit Sozialhilfeempfängern Verträge abschließen. Die sollen als Gegenleistung irgendetwas tun. Wieso tut das not?

Christian Bernzen: Soziale Arbeit ist etwas Gutes. Das muss einmal gesagt werden. Trotzdem wird häufig schlecht über sie geredet. Wir brauchen aber in unserer Gesellschaft eine Verständigung darüber, dass wir solidarisch zusammenhalten. Dazu gehört auch die Sozialhilfe. Es ist nicht richtig, dass ich denjenigen, der diese erhält, mit dem Verdacht versehe, er wolle sie sich erschleichen.

Sie unterstellen aber, diese Leute täten bisher nichts.

Bernzen: Nein. Der erste Gedanke ist: Sie tun etwas und wir nehmen es nicht wahr. Viele Menschen, die Transfergelder erhalten, tun Wichtiges in dieser Gesellschaft. Aber es wird nicht gesehen. Das ist schlecht. Es führt dazu, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt aufgelöst wird. Deswegen müssen diese Leistungen sichtbar werden. Wenn es Leute gibt, die über so einen Vertrag einen Appell spüren, anderes zu tun, ist das kein Schaden. Aber das ist erst der zweite Gedanke.

Frau Stoltenberg, ist so ein Sozialvertrag nötig?

Annegrethe Stoltenberg: Was Herr Bernzen als Grundidee anspricht, finde ich ausgesprochen gut. Es ist insgesamt ein Problem, dass gesellschaftliche Arbeit nicht honoriert wird. Wir unterstützen dies Anliegen auch im Hinblick auf die Umorganisation von Freiwilligen Sozialem Jahr und Zivildienst. Aber ich finde es schwierig, wenn man mit solch einer Idee bei den Sozialhilfeempfängern anfängt und sie nur noch als die sieht, die Hilfe nehmen. Dass sie Hilfe brauchen, gerät aus dem Bewusstsein. Außerdem muss es auch Angebote für diese Beteiligung geben. Menschen wie wir verfügen über viele Informationen, wo wir uns engagieren können. Aber andere brauchen dafür Beratung. Hier wurde in letzter Zeit stark gekürzt.

Wer berät die Menschen, wie und wo sie sich engagieren können?

Bernzen: Die Idee von dem Vertrag ist ja, die Zeiträume, in denen Hilfe gewährt wird, zu verlängern. Das ist rechtlich möglich und sinnvoll. Pro Sachbearbeiter haben wir etwa 120 Hilfeempfänger. Wenn die ihre Klienten nur zwei mal im Jahr sehen würden, dann hätten sie im Monat ca. 20 Gespräche zu führen. Das ist eins am Tag. Das könnte man schaffen und es wäre eine große Verbesserung. In dem aktuellen Verfahren müssen die Sachbearbeiter die Hilfeempfänger viel zu oft sehen. Da bleibt nur selten Zeit, um mit den Leuten über ernste Sachen sprechen.

Ab 2005 wird Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt. Ist dieser Vertrag die Lösung für all diese Menschen?

Stoltenberg: Nein. Hauptziel und Hauptschwierigkeit zugleich ist, die Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dazu zählen allein in Hamburg 25.000 Menschen. Für die muss es weiterhin ausreichend Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen geben.

Bernzen: Aber wenn wir alles auf Erwerbsarbeit ausrichten, haben wir einige Menschen gar nicht mehr im Blick. Es gibt legitime Varianten, in diesem Land an der Gesellschaft teilzuhaben und ohne Erwerbsarbeit zu leben. Nehmen wir zum Beispiel die Leute, die Anfang 60 sind und sicher noch 15 Jahre aktiv am Leben teilnehmen können.

Ist Ihr Modell ein billiger Ersatz für Beschäftigungs-Projekte?

Bernzen: Nein, eben nicht. Wir haben lange versucht, solche Sachen zu machen. Und je schöner wir sie gemacht haben, desto schneller haben sich die Drehtüren gedreht. Oft genügt es nicht wirklich, um Menschen zu helfen. Da wird eine Mutter von zwei kleinen Kindern, die keinen Schulabschluss hat, aufgefordert, an diesem großartigen „1-Euro-Programm“ teilzunehmen, um rauszufinden, was denn wohl einer Arbeitsaufnahme entgegensteht. Dabei kann man das schnell feststellen: Erstens, dass sie zwei kleine Kinder hat und zweitens, dass sie keine Qualifikation besitzt.

Stoltenberg: Das 1-Euro-Programm hilft den Menschen nicht, das sagen wir auch. Aber es gibt bessere Beispiele, wie das abgelöste „Tariflohn statt Sozialhilfe“. In den Projekten der Diakonie zeigen wir, dass man hier gemeinwohlorientierte Aufgaben übernehmen kann, die sonst nicht geleistet werden. Der Unterschied zum ersten Arbeitsmarkt ist für diese Menschen nicht so spürbar - wichtiger ist: Sie gehen morgens zur Arbeit, haben Kollegen, tun etwas Sinnvolles und sind eingebunden. Für uns ist das kein Scheinarbeitsmarkt, denn es wird ja auch auf dem ersten Arbeitsmarkt kräftig subventioniert. Nur wird nie hinterfragt, wieweit sich dies für die Gemeinschaft rentiert.

Bernzen: Bei guten und sinnvollen Projekten ist das gar kein Thema. Hier wollen die Sozialdemokraten richtig Geld ausgeben. Aber es gibt eben auch andere.

Wer betreibt das Stadtteilcafé in Steilshoop? Ehrenamtliche oder bezahlte ABM-Kräfte?

Bernzen: Das kommt ganz auf die Projektbeschreibung an. Wenn Menschen dort auf eine Tätigkeit in der Gastronomie vorbereitet werden, wäre es merkwürdig, zu sagen: Du machst das ehrenamtlich. Es gibt aber auch Projekte, wo Menschen im Bereich der Selbstorganisation tätig sind, wo man Räume beschaffen muss und Dinge ehrenamtlich geschehen. Wenn man die Rathauspassage anguckt, sieht man, dass dort beides geschieht.

Dem alten Senat wurde soziale Kälte vorgeworfen. Was heißt das eigentlich?

Stoltenberg: Für uns ist die Kälte vor allem eine Frage des Stils und des Umgangs. Wenn eine Regierung immer deutlich macht, dass es sich bei Hilfeempfängern nur um Menschen handelt, die die anderen ausnutzen, schafft dies ein soziales Klima, das wir als Kälte bezeichnen. Da hat die Politik eine hohe Verantwortung für die Stimmung in der Gesellschaft. Das sage ich auch aus der Perspektive einer Lehrerin, die ich im Erstberuf bin.

Werden Sie auch prüfen, ob Hilfeempfänger Auto fahren?

Bernzen: Wir wollen weg von der Sprache der Verdächtigung. Mit dem Sozialvertrag gibt es einen Wechsel der Perspektive. Ich glaube daran, dass Menschen Ziele und Hoffnungen für ihr Leben haben. Wir werden sie daran erinnern und ernst nehmen.