Vor dem Steintor 153, ArierVor dem Steintor 155 – Jude raus

Der Historiker Hanno Balz hat die Geschichte der Arisierung von jüdischem Grundbesitz in Bremen aufgeschrieben. Wir dokumentieren hier ein Stück Alltag aus dem Bremen von 1934: der Landenbesitzer Holst, Vor dem Steintor 153, der sich das Haus seines jüdischen Nachbarn unter den Nagel reißt

Vor dem Steintor 153 betrieb Richard Holst mit seinem Geschäftspartner Richard Bremer das Bekleidungsgeschäft „Holst & Bremer“. Das Nachbarhaus Nr. 155 gehörte Selma Beverstein (geb. Rothschild), die es 1920 mit ihrem Mann Robert zusammen gekauft hatte. Seit 1925 mieteten Holst & Bremer auch das Ladenlokal Beversteins, da sie ihr Hauptgeschäft erweitern wollten, außerdem betrieben sie eine Filiale in Bremerhaven.

Richard Holst war ein Geschäftsmann, der sich als Interessenvertreter seines Berufszweigs sah: Von 1929 bis 1935 war er Rechnungsführer des Reichsbundes des Textileinzelhandels, dann von 1935 bis 1945 Leiter der Bezirksfachgruppe Bekleidung der Einzelhandelsabteilung bei der Bremer Handelskammer. In dieser Funktion war er vor allem zuständig für die »Arisierungen« der jüdischen Bekleidungsgeschäfte und trat daher 1937 in die Partei ein. Zwar war sein Amt bei der Handelskammer ehrenamtlich, trotzdem war er bei den »Arisierungen« sehr engagiert - nicht zuletzt bedeutete eine solche Tätigkeit gute Beziehungen im Geschäftsleben der Stadt.

Der Streit um die Arisierung des Geschäftes Hirschfeld in der Obernstraße

Im Fall der »Arisierung« des Geschäftes der Gebrüder Hirschfeld in der Obernstraße 41/43 war von Seiten der Handelskammer schon entschieden, dass das Geschäft von »drei verdienten Kämpfern der Bewegung« übernommen werden sollte. Hirschfeld fand jedoch einen anderen Kaufinteressenten, den Direktor der »Nordstern-Versicherungsgesellschaften« Jacob Holzkämper. Dieser wollte das Geschäft nicht direkt übernehmen und setzte den Bremer Geschäftsführer von »C & A Brenninkmeyer« (später »C&A«) Ernst Thedieck mit dessen neu gegründeter Firma »Thedieck & Co. KG« ein.

Das gefiel weder Partei noch Handelskammer: Die Kreisleitung misstraute Holzkämper wegen seiner kritischen Einstellung dem Nationalsozialismus gegenüber und seiner Mitgliedschaft bei den Freimaurern. Der Präsident der Handelskammer Heinrich Kallsen und Kreiswirtschaftsberater Karl Schmidt verlangten für eine Genehmigung die »Stiftung« von 50.000 RM an die Partei für neue Uniformen. Die Zahlung eines solchen Schmiergeldes wurde von Holzkämper jedoch abgelehnt.

Daraufhin erklärte die Handelskammer die Übernehmer des Geschäftes als fachlich ungeeignet. Richard Holst schrieb in diesem Fall eine Expertise für die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel der Handelskammer. In seiner Ablehnung von Holzkämper und Thedieck drückte sich vor allem die Angst vor einer Konkurrenz für sein eigenes Geschäft aus und so warnte er davor, »dass auf der Obernstraße neben den bestehenden Waren- und Kaufhäusern ein neuer ähnlicher Betrieb entsteht und damit die maßlose Übersetzung seit der Gründung von Karstadt, C. & A. Brenninkmeyer usw. durch die Entjudung noch erheblich gesteigert« würde.

Holst, der von Holzkämper keine hohe Meinung hatte, fasste den Sinn der »Arisierungen« zusammen: »Es kann unmöglich Sinn der Entjudung sein, nun ungeeigneten Persönlichkeiten einen Betrieb zu übergeben, nur weil der jüdische Verkäufer des Geschäfts diese Personen für geeignet hält.«

Die Verwaltungsbehörden ließen sich jedoch weder von den Warnungen der Partei noch der Handelskammer beeindrucken und bewilligten den Verkauf von Haus und Geschäft an Holzkämper.

Die antisemitische Kampagne gegen die Nachbarn von Nummer 155

Holsts antisemitische Einstellung kam nach dem Kauf des Grundstücks Vor dem Steintor 155 von Selma Beverstein deutlicher zum Vorschein. Schon 1935 hatten Holst & Bremer die Ladenmiete an Beverstein bis auf ein Drittel gedrückt, da sie »Juden nicht soviel Miete zahlen dürften«. Am Tag nach dem November-Pogrom erhielt Selma Beverstein einen Brief von Holst & Bremer: »Wir erlauben uns Ihnen vorzuschlagen, uns Ihr Grundstück Vor dem Steintor 155 möglichst sofort gegen bar zu verkaufen.« Da die Firma »Holst & Bremer« laut Mietvertrag ein Vorkaufsrecht besaß, blieb Beverstein nichts anderes übrig, als an sie zu verkaufen, wenn sie es denn überhaupt verkaufen wollte. Zum Verkauf wurde sie von Holst noch zusätzlich gedrängt, indem er ihr versicherte, dass, sollte sie es nicht an ihn veräußern, alles beschlagnahmt würde und sie dann leer ausgehen müsste. Sie ging also recht schnell auf das Kaufangebot ein. Holst und Bremer kauften das Grundstück für den Preis, den Beverstein verlangte (40.000 RM bei einem Taxat von 43.000 RM), da sie die Gelegenheit des Vorkaufsrechts unbedingt für ihr Geschäft nutzen wollten. Beverstein hatte jedoch wie die meisten Juden zu dieser Zeit nichts mehr von dem Geld, da es auf ein Sperrkonto eingezahlt werden musste.

Bald darauf zog Selma Beverstein in das jüdische Altersheim in der Gröpelinger Heerstraße, sie wurde schließlich in Auschwitz ermordet. Im Haus zurück blieb als Mieterin ihre Schwester Hedwig mit ihrem »arischen« Ehemann Heinrich Lohmann. Holst, nun Hausbesitzer und außerdem Nachbar, missfiel die Tatsache, dass in seiner unmittelbaren Nähe eine Jüdin wohnte. Nach dem Erwerb des Grundstücks setzte er daher alle Mittel in Bewegung, Hedwig und Heinrich Lohmann aus ihrer Wohnung zu vertreiben. Zunächst strengte er am 31. März 1939 eine Räumungsklage gegen sie an mit der Begründung, dass Frau Lohmann nicht »arisch« sei.

„Die grinsende Maske werde ich Ihnen vom Gesicht reissen. Verrecke Juda!

Die Klage wurde jedoch abgelehnt, da Hedwig Lohmann durch ihre »privilegierte Mischehe« geschützt war. Vorerst mussten Holst und Bremer klein beigeben, schrieben den Lohmanns aber drohend: »Wir haben von der Entscheidung des Mietgerichts Kenntnis genommen. Wir werden die fristlose Räumung der Wohnung erneut verlangen, wenn dafür die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen worden sind.« Eine Woche später erklärten sie: »Wir wollen grundsätzlich mit Juden und Mischlingen keine Mietverträge fortsetzen.« Die antisemitischen Angriffe Holsts gegenüber Hedwig Lohmann eskalierten in den folgenden Monaten. Morgens am 3. Juni 1940 stattete Holst der Wohnung Lohmanns einen Besuch ab und beschimpfte Hedwig Lohmann aufs heftigste. Deren Ehemann schaltete sofort seinen Rechtsanwalt ein, dessen Schreiben an Holst hier wiedergegeben wird: »Sodann habe ich Sie aufzufordern, die beleidigenden Äusserungen, die Sie am Montag, den 3. Juni ds. Jrs., 9 Uhr vormittags der Ehefrau meines Mandanten gegenüber gebraucht haben, zurückzunehmen. Die Äusserungen lauteten, wie von Zeugen aufgegeben wird, folgendermassen: Sie altes freches Judenweib. Sie sollen krepieren. An die Wand müssten Sie gestellt werden. Sie müssen am nächsten Laternenpfahl aufgehängt werden. Die grinsende Maske werde ich Ihnen vom Gesicht reissen. Verrecke Juda. Halten Sie Ihre Schnauze, Ihre Fresse, Sie Judenweib. Ferner haben Sie geäussert, Sie liessen die Ehefrau meines Mandanten nicht mehr in den Luftschutzkeller hinein. Die Frau meines Mandanten hätte Sabotage getrieben, indem Sie hätte Wasser durch die Decke laufen lassen. Kein jüdischer Verwandter meines Mandanten dürfte mehr in das Haus kommen usw. Ich muss Sie daher ersuchen, die gefallenen Ausdrücke mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückzunehmen, da mein Mandant sich sonst alle weiteren Schritte gegen Sie vorbehalten müsste.«

Holst ließ es nicht auf einen Prozess ankommen und entschuldigte sich kurz und förmlich für seine antisemitischen Tiraden. Ein Jahr später jedoch unternahm er einen weiteren Versuch, Lohmanns aus seinem Haus zu vertreiben und es so »judenrein« zu bekommen. Nach der

Im Flur des Hauses ließ er im Namen der Firma eine Tafel anbringen, auf der alle Mietparteien eingetragen waren. Hinter dem Namen Heinrich Lohmanns war jedoch, im Gegensatz zu den anderen Mietern, die Ehefrau vermerkt: »Ehefr.: Sara Hedwig, geb. Rothschild« samt einem gemalten Judenstern. Lohmann verklagte daraufhin Holst wegen Verleumdung. Im Prozess gab Holsts Rechtsanwalt Auskunft über dessen antisemitische Motive: »Die Inhaber der Beklagten [Firma, Anm. H.B.] sind, wie dies selbstverständlich ist, Judengegner. Sie sind dies nicht nur aus dem allgemeinen Empfinden heraus, das heute jedem Deutschen Volksgenossen eigen ist, sondern darüberhinaus ganz bewußt nur aus politischer Überzeugung. Der Mitinhaber der Beklagten, Herr Richard Holst, steht an leitender Stelle im Einzelhandel. Er ist der Leiter der Bezirksfachgruppe Bekleidung, Textil und Leder, Bremen. Er hat ständig die Aufgabe, seine Überzeugung beispielhaft zu vertreten. Seine Aufgabe war es beispielsweise, bei der Arisierung des Einzelhandels führend mitzuwirken. Die Beklagte muß daher ein Interesse daran haben, in dem engeren Wirkungskreis ihres Geschäftshaushaltes völlig frei von jedem Anschein zu sein, dass Beziehungen zu Juden auch nur geduldet werden.«

Das Gericht gab Holst in seinen Ausführungen recht und die Tafel durfte bleiben. Lohmanns zogen bald aus und Holst hatte schließlich sein Ziel erreicht. Gelohnt hatte sich der Hauskauf für Holst ohnehin: Das Vermögen des »Arisierers« Holst stieg von 50.000 RM im Jahre 1932 steil an, es betrug 101.000 Reichsmark im Jahr 1938 und 145.000 Reichsmark 1943. Der wirtschaftliche Aufschwung des Geschäftes von Holst war auch am äußeren Erscheiungsbild des Hauses Ende der 30er Jahre deutlich zu erkennen.