peters paradise Zum Abschluss der Berlinale : Die facettenreiche Pracht des Misslungenen
Bevor es nun daran geht, vorab die alles entscheidende Bärenausschüttung vorzunehmen, ein paar Anmerkungen zu den vergangenen Tagen. Auch wenn viel über das diesjährige Wettbewerbsprogramm geklagt wurde, muss man wohl sagen, dass es die beste Berlinale war, die Festivaldirektor Dieter Kosslick bislang zu verantworten hatte.
Zwar waren in den Gängen des Berlinale Palasts nach so mancher filmischer Zumutung Stimmen zu vernehmen, die deutlich Kosslicks Absetzung forderten und die Ära seines Vorgängers Moritz de Hadeln in den schwärmerischsten Worten skizzierten; doch wogegen sich die Kritik auch richtete, sie zielte an dem eigentlichen Problem vorbei. Kosslick hätte von Anfang an klar machen sollen, dass es ihm nicht darum ging, die schönsten und besten Filme zu präsentieren, nicht einmal darum, den wichtigsten, mutigsten oder kontroversesten Werken ein Forum zu bieten, sondern dass der Wettbewerb es sich dieses Mal zur Aufgabe gemacht hatte, einen Überblick über den Zustand des Kinos an sich zu geben.
Da zweifellos mehr schlechte als gute Filme produziert werden, hatten auch viele schlechte Filme mit gutem Recht ihren Platz im Programm. Man kann dem Auswahlgremium nur auf den Knien dafür danken, dass es sich nicht von wirklichkeitsverzerrenden Qualitätsfragen beirren ließ, sondern dass es den Mut hatte, das Misslungene in all seiner facettenreichen Pracht zu unterbreiten. So sah man von allem etwas: den französische Laberfilm, den asiatischen Frauendemütigungsfilm, den misslungenen Hollywoodfilm, den rätselhaften Historienfilm, den dänischen Depressionsfilm sowie den Betroffenheitsfilm aus Norwegen und England und den Möchtegernkunstfilm aus deutscher Produktion. Nur die Kategorie Tierfilm sparte man auch dieses Jahr wieder aus – obwohl der spanische Beitrag „La vida que te espera“ sich als Milchkuhdrama erster Sahne erwies.
Dem Publikum kam es dabei zu, im Durchschnittlichen das Besondere zu entdecken. Manchmal hatte es Erfolg, manchmal aber auch nicht. Während es den Zuschauern gelang, die gut versteckte Komik in Romuald Karmakars „Die Nacht singt ihre Lieder“ aufzuspüren, blieb leider vielen der eigentliche Witz des Griechenlanddramas „Trilogia: To livadi pou dakrisi“ verborgen. Dabei hatte Regisseur Theo Angelopoulos sich sehr viel Mühe gegeben und ein wolkenverhangenes, schwer verregnetes 3-Stunden-Epos geschaffen, obwohl in Griechenland nachweislich nur alle Jubeljahre ein einsames Wassertröpfchen vom strahlend blauen Himmel fällt. Wie man hört, sollen die Dreharbeiten schon deshalb sehr langwierig gewesen sein.
Auch in Eric Rohmers „Triple Agent“ ging es nur vordergründig um Spionage und Politik, sondern vielmehr um Frühstücksgewohnheiten, Tischmanieren und die Verwendung von Brotaufstrichen hinsichtlich ihrer genderspezifischen Bedeutung. Wie Rohmer messerscharf zu analysieren wusste, bevorzugen Frauen Fruchtkonfitüre, während Männer doch lieber zu schwerer Dauerwurst greifen. Diese Beobachtung, die nicht nur sehr erhellend ist, sondern auch bildsprachlich recht flott in der von Rohmer bekannten Dynamik umgesetzt wurde, verdient neben großem Respekt auch dringend einen Bären. Ein zweiter Bär geht an die namentlich unbekannten Afrikaner, die in John Boormans Apartheitsdrama in allen Lebenslagen ständig singen, denn mit Musik geht alles besser. HARALD PETERS