: Vom Nutzen der Finanznot
Freie Jugendclubs in Marzahn und Hohenschönhausen wollen keine Problemkids mehr – sondern zahlende Kundschaft. Statt realitätsnaher Freizeitgestaltung für Teenager bieten sie Töpferkurse
VON BERNHARD HÜBNERUND ANNA LEHMANN
„Die Finanznot kann ganz nützlich sein“, sagt die Sprecherin der Senatsverwaltung für Jugend, Anne Rühle. Wo die öffentliche Hand nicht mehr austeile, könnten Jugendliche selbst aktiv werden. Streetworker wie Brita Feustel haben täglich mit solch selbstständigen Jugendlichen zu tun: „Viele wissen nicht wohin, wenn Einrichtungen geschlossen werden. Sie treffen sich auf Vorplätzen und in Hauseingängen. Dort fallen sie durch Lautstärke und Vandalismus auf.“
Feustel arbeitet für den Streetworkverein „Gangway“ auf den Straßen Hohenschönhausens. Sie geht auf die Halbstarken zu, versucht ihr Vertrauen zu gewinnen und ihre Freizeitgestaltung in gerade Bahnen zu lenken. Eine Clique habe es auf eine Schadenssumme von 25.000 Euro gebracht, weil sie regelmäßig die Feuerlöscher in dem Hausflur, den sie sich zum Treff auserkoren hatten, zerstörten, erzählt sie.
„In die Jugendclubs gehen nur die fitten Jugendlichen, die Auffälligen bleiben draußen“, sagt die Streetworkerin. Alkohol fungiert dabei als Türsteher. Alkoholische Getränke sind in Jugendclubs verboten. Allerdings, beobachtet Brita Feustel, gehöre für viele Jugendliche Bier zum täglichen Bedarf. „Die trinken dann eben an öffentlichen Plätzen.“
Und sie werden jünger. „Wir sehen immer mehr Zehn- und Elfjährige, die lautstark Bierflaschen schwenken.“ Für die Problemkids fordert sie niedrigschwellige Angebote – Häuser, die sie selbst verwalten und in denen die eigenen Regeln gelten.
Auch im benachbarten Marzahn wachsen die Häuser in den Himmel, während die Jugendarbeit am Boden krebst. Im letzten Jahr sind fünf Einrichtungen geschlossen worden, zwei wurden an freie Träger übergeben. Im Etat von Jugendstadträtin Manuela Schmidt (PDS) sind jährlich rund 470.000 Euro für die 18 kommunalen Häuser vorgesehen: „Viel zu wenig. Ich sehe gegenwärtig die gesamte präventive Struktur im Wegbrechen“, sagt Schmidt. Viele Projekte könnten nur am Leben gehalten werden, weil freie und kommunale Träger enger zusammengerückt seien.
Das „Treibhaus“ im Norden Marzahns blieb dank der Agrarbörse Ost geöffnet. Als der kommunale Jugendclub im vergangenen Jahr geschlossen werden musste, sprang sofort der Bildungsverein als Träger ein. Seitdem ist von niederschwelligen Angeboten nur noch wenig zu sehen. „Brain Boom, der Erfindertreff jeden Donnerstag“, „Keramik am Mittwoch – Aus jedem grauen Klumpen kann etwas Einzigartiges werden“, alles keine Veranstaltungen für Jugendliche mit Problemen.
„Manchmal vergessen die dort die Jugendarbeit“, meint ein Marzahner Sozialarbeiter. Er muss anonym bleiben, weil die Jugendstadträtin ihm keine Redeerlaubnis gab. Um finanziell über die Runden zu kommen, müssten die Vereine mit ihren Häusern ein anderes Klientel ansprechen, sagt er. Vor dem Haus stehen zwei Zehnjährige und ziehen an ihren Kippen. So ein Treffpunkt lässt sich schlecht für Veranstaltungen vermieten.
Konstantin Tscherschwitz und Jörg Nowitzki, beide 25, rockten noch vor einem Jahr mit ihrer Band im „Renner“. Bis der Club geschlossen wurde. Weil die Mieten für Probenräume in Prenzlberg unbezahlbar sind, fahren sie einmal in der Woche raus nach Marzahn. In einen anderen Club. Mit den Jugendlichen dort haben sie kaum Kontakt. Obwohl die Jungs deshalb nicht zu Problemfällen geworden sind, bedauern sie das Aus für ihren Club. „Das ‚Renner‘ hat dir Halt gegeben“, sagt Tscherschwitz nostalgisch.