„Ich hätte mir arabische Panzer gewünscht“

Der schnelle Kollaps des irakischen Regimes erschüttert das arabische Weltbild und schürt die Angst vor einer neuen US-Hegemonie

KAIRO taz ■ Mit Unglauben und einer gehörigen Portion Schock hat die arabische Welt die amerikanische Eroberung Bagdads auf ihren Bildschirmen verfolgt. Fassungslos klebten sie vor den Fernsehern, als US-Marines unbehelligt durch eine der größten arabischen Städte patrouillierten und als die Statue Saddam Husseins in amerikanisch-irakischer Kooperationsarbeit in Bagdad vom Sockel geholt wurde. Die Schlüsselszene stellte für die meisten Zuschauer jene Einstellung dar, als ein US-Soldat den Kopf der Saddam-Statue für kurze Zeit mit dem US-Sternenbanner verdeckte. Eine Szene, über die am Morgen danach jeder spricht – sei es in Kairo, Amman, Damaskus oder Riad. Für die meisten Araber läuft dies nicht unter der Kategorie „Befreiung“. Es ruft ungute Erinnerungen an die koloniale Vergangenheit wach. Das arabische Grundgefühl lässt sich in einem Satz zusammenfassen: „Kaum jemand weint Saddam Hussein tatsächlich eine Träne nach, aber es bleibt das bittere Gefühl, dass Fremde in der Region machen können, was ihnen beliebt.“

„Die meisten fragen sich immer noch, was geschehen ist und warum der irakische Widerstand derartig zusammengebrochen ist, nachdem im irakischen Süden wie in Umm Kasr oder Nassirija so viel und so heftig gekämpft wurde. Das hat bei vielen vollkommen unrealistische Erwartungen geweckt“, sagt der in Jordanien lebende politische Kommentator Mouin Rabbani. Der ägyptische Politologe Muhammad Sid Ahmad stellt die Frage: „Gab es zu Beginn heftige Kämpfe, weil die Leute zuvor terrorisiert worden waren, um Widerstand zu leisten? Oder war da ein irakischer Patriotismus am Werk, wie wir es noch letzte Woche interpretiert haben?“ Der bekannte ägyptische Politkommentator hat keine Antwort. Nur in einem ist er sich sicher, „für Saddam Hussein wollte sicher keiner sterben“.

Nun gebe es allerlei wilde Theorien, etwa dass die Russen vermittelt hätten oder dass irakische Militärführer mit den Amerikanern eine Deal eingegangen seien, erzählt Muhammad Sayyed Said vom Al-Ahram-Zentrum für Strategische Studien in Kairo. Die Leute, sagt er, „fühlen sich von den Ereignissen vollkommen im Stich gelassen“. Doch jenseits der militärischen Seite geht es im Fall Bagdads weniger um den Irak und noch weniger um Saddam Hussein, wie Rabbani erklärt. Alle Araber hätten gehofft, dass Washington in diesem Krieg einen hohen Preis bezahlen muss, um am Ende die Angelegenheiten und Wünsche dieser Region endlich einmal ernst zu nehmen. Jetzt, sagt Rabbani, sei das Gegenteil eingetreten: „Die Amerikaner fühlen sich so selbstsicher, dass viele glauben, sie rollen mit ihren Panzern gleich über die Grenze nach Syrien weiter.“ Nun können die USA die gesamte Region nach ihren Vorstellungen formen, ohne dass sie dabei irgendjemand stoppen kann, „nicht die Europäer und die Araber schon gar nicht“.

Die Bilder von Irakern, die den amerikanischen Truppen zujubeln, haben das arabische Weltbild in seine Grundfesten erschüttert. Einige bezeichnen diese Szenen als „skandalös“. Anderen haben die Bush huldigenden Iraker zu denken gegeben, wurde doch damit einmal mehr die ganze arabische Machtlosigkeit demonstriert. „Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass die arabische politische Ordnung weder fähig war, Saddam Hussein loszuwerden, noch hat sie zu irgendeinem Zeitpunkt den Krieg verhindern können“, sagt Rabbani. Die arabischen Regime hätten die Moral der Menschen gebrochen.

Einer der jubelnden Iraker hatte das am Mittwoch mit einem Satz auf den Punkt gebracht, der allen Arabern ins Herz sticht: „Ich hätte mir gewünscht, es wären nicht amerikanische Panzer, sondern arabische Panzer, die uns von Saddam Hussein befreien.“

Die junge ägyptische Journalistin Reem Nada erscheint am Morgen nach dem Fall Bagdads vollkommen aufgelöst bei der Arbeit und starrt auf ihren Computer: „Wir sind total inkompetent, unsere eigenen Angelegenheiten zu lösen. Wir haben kein Wissen, keine Macht und keinen Willen, irgendetwas zu machen“, sagt sie frustriert. „Ich hatte immer ein Gefühl des Stolzes und der Dazugehörigkeit. Das ist vorbei.“

KARIM EL-GAWHARY