: „Bis auf zwei Füchse bewegt sich nichts“
Kippt der Neubau der „Topographie des Terrors“? Andreas Nachama, geschäftsführender Direktor der Stiftung, glaubt: Es wird einen Neubau geben, aber wahrscheinlich nicht die Realisierung des Entwurfs von Peter Zumthor. Und schon gar nicht vor 2007. Geht es dieses Jahr nicht los, ist das Projekt tot
InterviewP. GESSLER und R. LAUTENSCHLÄGER
taz: Herr Nachama, vor exakt zehn Jahren wurde der Wettbewerb für das NS-Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors“ entschieden. Was wir heute auf dem einstigen Standort von SS und Gestapo vorfinden, ist eher eine Bauruine als eine Baustelle. Empfinden Sie das nicht als Skandal?
Andreas Nachama: Es ist traurig. Gelegentlich empfinde ich es auch als Skandal. Doch es ist ein Skandal, den man nicht personalisieren sollte und bei dem man sagen könnte, der oder die hat Schuld. Das Projekt wurde gewissermaßen gegen die Mauer gefahren.
Kann man es nicht doch personalisieren? Die Akteure sind die Bauverwaltung, Senator Strieder und der Architekt Peter Zumthor. Vor einem Jahr hat Strieder angekündigt, der Bau gehe weiter. Kommen Sie sich mit Ihren Mitarbeitern nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet vor?
Nein, so sehe ich das nicht. Niemand konnte nach der Wettbewerbsentscheidung damals wissen, welche gigantischen bauphysikalischen Schwierigkeiten auf uns zukommen würden. Und es gibt nach wie vor den politischen Willen auf Bundes- und Landesseite, der „Topographie des Terrors“ ein Gebäude zu errichten. Da zweifle ich auch nicht an Bausenator Strieder. Wäre es nicht so, hätte er das Bauvorhaben längst gekippt.
Aber ist es nicht ein Unding, dass nach zehn Jahren weder die Kostenfrage noch die Realisierung geklärt ist?
Die Kostensteigerungen von 45 auf jetzt 76 Millionen Mark, also auf rund 38 Millionen Euro, sind entstanden, weil der überaus komplizierte Entwurf nach herkömmlichen Methoden gar nicht anders zu kalkulieren war.
Warum ist die Stiftung „Topographie des Terros“ nicht selbst als Bauherr aufgetreten? Warum lässt das Land bauen, mit dem bekannten Fiasko?
Die „Topographie des Terrors“ war anfangs eine unselbstständige Stiftung und an die Kulturbehörde angebunden. Erst 1995 wurde sie eine selbstständige Stiftung. Wir waren also Teil der Senatsadministration – und für den Senat baut die Bauverwaltung.
Weder die Bauverwaltung noch der Architekt sind in der Lage, das Projekt zu stemmen. Es gibt ja noch nicht einmal einen Bauunternehmer. Warum machen Sie das weiter mit?
Natürlich kann man im Nachhinein sagen, das war ein Fehler. Heute würde ich sogar sagen: „So machen wir das nicht noch einmal, wir suchen uns einen sachkundigen Bauträger, schauen nach realistischen Alternativen und bauen selbst.“ Aber was sind die Alternativen? Wir können sagen, wir steigen aus, haben eine Bauruine, und keiner weiß wirklich, was auf uns zukommt. So könnten die drei Treppentürme infolge dreier Winter Schäden genommen haben und müssten saniert werden. Was dann?
Ist es denkbar, dass etwas anderes als Zumthor gebaut wird?
Ich habe ein Wort gelernt, das heißt Rückbau.
Das heißt, Sie können sich schon mal den Abriss der drei Treppentürme vorstellen?
Vorstellbar ist alles. Vorstellbar ist jede Variante.
Was meinen Sie damit?
Mein persönlicher Glaube ist: Mit den vorhandenen Geldmitteln ist die Wahrscheinlichkeit der Realisierung des Zumthor-Baus verschwindend klein. Und angesichts der Haushaltslage im Land und beim Bund ist die Chance, zusätzliche Finanzmittel für das Bauvorhaben zu finden, nicht viel größer.
Der Zumthor-Bau ist mit der vom Land und dem Bund verabredeten Summe von rund 76 Millionen Mark also nicht zu machen?
So wie die Dinge stehen, glaube ich nicht, dass das machbar ist.
Die Bauverwaltung hat doch zuletzt argumentiert, man habe das bis auf den letzten Nagel durchgerechnet, den Bau abgespeckt, und sogar Zumthor habe dem zugestimmt.
Ja wo ist denn die Baukolonne, die dort beginnt und das realisiert? Ich sehe keine Baukolonne, und wenn ich die nicht sehe, hat das doch einen Grund. Und der Grund ist nicht eine politische Verweigerung, sondern er liegt darin, dass es offenbar finanziell klemmt.
Also Zumthor kann man nicht billiger machen?
Das wird so gesagt. Das sagen alle. Darum muss man neu über die Interessen des Nutzers und die schnelle Realisierung nachdenken. Ich glaube an einen Neubau – aber nur noch sehr bedingt an diesen Entwurf. Zumthor ist eine Krone der Architektur, aber nach zehn Jahren des Ringens um seine Realisierung muss man einräumen, dass es fast unmöglich ist, diesen Ingenieurstraum umzusetzen.
Rücken Sie damit nicht auch von einem Paradigma ab, das die „Topographie“ sich selbst auferlegt hat: nämlich die Auseinandersetzung von Architektur und Ort?
Wenn man tagtäglich sehen muss, dass sich auf dem Gelände nichts bewegt – außer zwei Füchsen –, dann muss man über Alternativen nachdenken. Wir als Institution sind auch verpflichtet, dass dort etwas entsteht.
In der Szene haben Sie schon den Ruf weg: „Die kriegen es nicht gebacken.“
Ja, so ist das leider.
Müsste man nicht auch darüber nachdenken, dass der Bund alles übernimmt?
Ich sehe das nicht – auch wenn statt der Bauverwaltung nun die Bundesbaudirektion bauen würde. Die eigentliche Frage ist: Bauen wir zu den realistischen Kosten, oder denken wir über Alternativen nach?
Vergangene Woche war der Baubeginn für das Holocaust-Mahnmal. Bedeutet das nicht einen zusätzlichen Prestigeverlust? Jetzt ist doch klar: Die „Topographie“ wird das Letzte sein, was fertig wird – wenn überhaupt.
Es wird fertig. Es wird auch einen Neubau der „Topographie“ geben. Das ist jetzt nicht Zweckoptimismus, den ich verkünde, sondern davon bin ich nach den Äußerungen der politisch Verantwortlichen auf Landes- und Bundesseite überzeugt.
Liegen die großen Probleme auch daran, dass es eben der „Ort der Täter“ ist, der Ort der Väter und Großväter: Haben vielleicht die politischen und baulichen Probleme am Ende ihren Grund in der Tatsache, dass man sich an diesem Ort mehr als an den anderen auseinander setzen muss mit der eigenen Schuld – und dass das weh tut?
Das könnte nur eine Erklärung sein, dass man es immer wieder zur Seite schiebt und das Projekt dauernd hintangestellt wird. Aber man würde es auch verklären, wenn man den Stillstand nur so erklären wollte. Die drei hohlen Zähne, die da stehen, sind auch ein Symbol für die Bauhybris der 90er-Jahre, als man glaubte, man könne alles bauen.
Wagen Sie doch mal eine Prognose: Wann wird die „Topographie“ jetzt eröffnet?
Ich bin Rabbiner und kein Prophet. Falsche Propheten werden gesteinigt. Also ersparen Sie mir eine Prognose. Es ist trostlos. Unter der Bedingung, dass in diesem Jahr mit dem Weiterbau begonnen würde, gäbe es die Prognose 2007/2008. Das Jahr ist ja noch nicht vorbei. Und es gibt ja auch noch Wunder. Aber ich halte die Chancen, wenn man realistisch ist, für nicht sehr groß, dass wir in absehbarer Zeit hiermit weiterkommen. Noch ein Jahr Baustopp, und das Projekt ist endgültig gescheitert. Hier ist endlich mal Kreativität gefragt.
Seien wir einmal kreativ: Das Jüdische Museum steht, das Holocaust-Mahnmal auch bald. Zu fragen wäre, ob wir die „Topographie“ noch brauchen.
Es wurde ja schon häufiger von dieser Trias von Museum, Mahnmal und „Topographie“ gesprochen. Der einzige authentische Ort ist der der „Topographie“ des Terrors: ein Ort mit Aura. Er muss so gekennzeichnet sein, dass man dort nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Es gibt da auch eine Abstimmung mit den Füßen: Trotz des herben Winters hier in Berlin haben wir 250.000 bis 300.000 Besucher im Jahr. Der Ort „Topographie“ ist von den Besuchern angenommen.
Aber reicht das?
Ich finde hier gerade die Banalität der Dinge: einen Küchenkeller, diese Mauerreste im Ausstellungsgraben, diese Banalität in Kombination mit der Erinnerung an das dortige Geschehen ist schon sehr stark. Es wird funktionieren, wie es schon hilfsweise funktioniert hat, ohne architektonische Überformung. Die „Topographie“ kann auch als offene Narbe in der Stadt funktionieren: als ein Ort, der mitten in der Zivilisation, mitten in der Stadt, an der Machtzentrale Berlins war. Die Frage ist: Will die Gesellschaft ein Lerngebäude, einen „undekorierten Schuppen“, wie wir selbst gesagt haben, haben? Dass nun gerade der „undekorierte Schuppen“ in seiner Ausführung so schwierig ist – das hat ja keiner vorausgesehen.
Das hört sich ja so an, als ob alles so bleiben könnte.
Es ist die Frage, ob sich die Bundeshauptstadt mit ihrer Geschichte so präsentieren will. Wenn man sagt, man will das so einfach, dann ist das vielleicht eine philosophische Aussage, die womöglich bezeichnender ist als andere Aussagen. Ich wage aber zu bezweifeln, dass das so beabsichtigt ist.
Angesichts Ihrer vielen Probleme bei der „Topographie“ und in der Jüdischen Gemeinde fragen wir uns, ob Ihnen das Leben derzeit Spaß macht?
Es ist schon so, dass ich manchmal tief Luft holen muss, und es wäre die Unwahrheit zu behaupten, ich sei ausgeglichen und glücklich. Andererseits sind Probleme dazu da, gelöst zu werden. Und wenn man als Jude in Berlin lebt, muss man bereit sein, den Druck auszuhalten. Bei der „Topographie“ sollte es gelingen, dem temporären Charakter endlich eine dauerhafte Form zu geben. Das betrachte ich als Lebensaufgabe. Dafür muss man schon einmal Rückschläge in Kauf nehmen.