BEVOR DIE UNO SICH ENGAGIERT, MÜSSEN DIE BESATZER FÜR ORDNUNG SORGEN : Der Triumph im Irak ist nur scheinbar
Manche Fehler sind so schwerwiegend, dass ihre Folgen durch einen Kurswechsel nicht etwa korrigiert, sondern sogar noch vergrößert werden. Das gilt vor allem dann, wenn der Schwenk zum falschen Zeitpunkt erfolgt. Der Krieg gegen den Irak war ein solcher Fehler. Im Augenblick ihres – scheinbaren – Triumphes in Bagdad erlitten die USA eine größere Niederlage, als die schwachen irakischen Truppen sie ihnen jemals hätten beibringen können. Seither hat die Forderung nach schnellstmöglicher Einbeziehung der Vereinten Nationen in den politischen Prozess ihren Charakter fundamental verändert: Ihre Erfüllung könnte jetzt nur eine weitere, gefährliche Diskreditierung der UNO bewirken. Nicht aber eine Entspannung der Situation. Gerade Gegner des Krieges sollten sich daher vor einer mechanischen Wiederholung von Forderungen hüten, die durch die Ereignisse überholt worden sind.
Die Begeisterung von Teilen der irakischen Bevölkerung über den Machtverlust von Saddam Hussein ging mit dem Zusammenbruch jeglicher staatlichen Ordnung einher – eine Entwicklung, die US-Strategen unbegreiflicherweise nicht vorhergesehen zu haben scheinen. Entsprechend hilflos haben sie darauf reagiert. Inzwischen bleibt ihnen nur noch die Wahl zwischen verheerenden Optionen. Wenn die Besatzungstruppen weiterhin gar nichts gegen Raubzüge und Gewaltakte unternehmen, dann wird Freude selbst bei jenen schnell in Verbitterung umschlagen, die den Einmarsch der ausländischen Militärs jubelnd begrüßt haben. Es gibt nämlich kein historisches Beispiel dafür, dass ein plündernder Mob säuberlich nach Gerechten und Ungerechten unterscheidet. „Befreier“, die der Zerstörung eines Krankenhauses tatenlos zusehen, verlieren dauerhaft an Glaubwürdigkeit.
Was wäre die Alternative? Standrechtliche Erschießungen von jungen Männern, die Luxusgüter aus vornehmen Villen tragen? Solche drakonischen Maßnahmen kämen bei den internationalen Medien wohl nicht so gut an. Zumal zahlreiche westliche Kommentatoren in den letzten Tagen ein Ausmaß an Verständnis für Plünderer zeigten, das im Zusammenhang mit gewaltsamen Enteignungen eher ungewöhnlich ist. Auch die rührende Forderung, ausländische Militärs sollten endlich polizeiliche Aufgaben wahrnehmen, hilft nicht so recht weiter. Polizisten sind nämlich lediglich Erfüllungsgehilfen der Justiz. Ihre Arbeit ist sinnlos, solange es keine Richter und keine Gerichte gibt. Wer aber sollte derzeit im Irak richten – und nach welchem Recht? Die Besatzer? Westlichen Grundsätzen folgend? Oder die Richter des alten Regimes? Die Mängel beider Varianten sind offenkundig.
In den letzten Wochen sind von Befürwortern des Krieges mehrfach (hinkende) Vergleiche zwischen dem Sieg über NS-Deutschland und dem Angriff auf den Irak gezogen worden. In zumindest einer Hinsicht kann der historische Rückblick tatsächlich nützlich sein: Auch die deutsche Nachkriegsordnung wurde auf dem Prinzip aufgebaut, weite Teile der alten Eliten auf ihren Posten zu belassen. Und das, obwohl Deutschland von Feinden – und von Demokratien – umgeben war. Im Gegensatz zum Irak. Sollten die USA keine andere Möglichkeit zur Stabilisierung der Situation sehen als die Zusammenarbeit mit Erfüllungsgehilfen des gestürzten Regimes, dann wäre das verständlich. Aber die Vereinten Nationen sollten sich daran nicht beteiligen. Sie drohten sonst ihre Rolle als mögliche Mittlerin zu verlieren.
Die Frage nach dem Umgang mit Bankräubern gehört übrigens noch zu den leichteren im Zusammenhang mit dem Irakkrieg. Wenn die Bush-Administration nicht einmal darauf eingestellt war: wie will sie angemessen auf die vorhersehbaren Machtkämpfe der nächsten Zeit reagieren? Gegnerinnen und Gegnern des Krieges sind durch die Entwicklung der letzten Tage bestätigt worden, nicht etwa widerlegt. Es wäre ja schön, wenn es anders wäre. Washington scheint die Lage allerdings weiterhin so zu beurteilen, als habe es die Bush-Regierung nicht nötig, auf Kritiker zu hören. Das ist nicht erstaunlich. Dächte die US-Administration anders, dann wäre dieser Krieg vermutlich nie begonnen worden. Kriegsgegner wie Deutschland, Frankreich und Russland aber sollten sich jetzt nicht auf diese Logik einlassen. Sondern sorgfältig wägen, welche Forderungen sie stellen wollen. Und wann. BETTINA GAUS