: Die menschelnde Partei
Christdemokratische Bürgerschaftsabgeordnete erkundeten das nächtliche Arbeitsleben: Sie fuhren Streife, kellnerten, buken – nur in ein Krankenhaus hat sich leider niemand verirrt
taz ■ Karl Uwe Oppermann hatte was zu erzählen: Der Helm sei ihm ins Wasser gefallen beim Schiffe festmachen in Bremerhaven, berichtete er. „Besser der Helm als der Mann“, habe der trockene Kommentar seines Chefs gelautet. Oppermann hatte bei der Vertäugesellschaft „Festima“ hospitiert. Eine „knochenharte körperliche Arbeit“ sei das, so der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete. Und der Mann weiß, wovon er redet: Oppermann hat einst selbst die Kapitänsausbildung gemacht.
20 Abgeordnete der Bremischen CDU-Fraktion hatten teilgenommen an der menschelnden Aktion „NachtAktiv“, die der junge Fraktionsmitarbeiter Torsten Raff organisiert hatte – und die natürlich einen bittersüßen Wahlkampf-Beigeschmack hat. Das Politpersonal sollte, so die offizielle Begründung für die Aktion, Berufe und Branchen erkunden, die hauptsächlich nachts arbeiten. Also verließen die Hannkens und Pflugradts und Rohmeyers in der Nacht von Freitag auf Samstag ihre heimischen Stuben, um mit Polizeibeamten Streife zu fahren, in Backstuben Körner auf Brötchen zu streuen oder, wie der forsche Abgeordnete Jörg Jäger, den „Night-Audit“ des Maritim-Hotels zu „begleiten“.
Unkommentiert wollten die Helden der Nacht ihre Aktivitäten natürlich nicht lassen. Für den nächsten Vormittag um elf luden sie deshalb flugs zur „Pressekonferenz im Camarillo“ ein, wo sie sich an einem Frühstücksbuffet laben konnten. Einige Abgeordnete, die offenbar besonders hart hatten schuften müssen, ließen sich ein Gläschen Sekt servieren. „Ich weiß gar nicht, wieso alle so erholt aussehen“, witzelte Fraktionsboss Jens Eckhoff.
„Wir wollten sensibilisieren und aufmerksam machen auf die Probleme der nachts arbeitenden Menschen“, erklärte Eckhoff – und zählte auf, welche Beeinträchtigungen Nachtschichten für eine Beziehung, für Kinderbetreuung oder für die Mobilität mit sich bringen können. „Man muss ja im Endeffekt mit dem Auto zum Job fahren“, stellte Eckhoff fest. Außerdem sei bei Menschen, die nachts arbeiteten, „der Zyklus des Schlafens um drei Stunden verkürzt“. Er selbst, der bis halb drei im Restaurant „Osteria“ an der Schlachte „gastronomische Hilfstätigkeiten“ ausgeübt hatte, könne das jetzt nachempfinden: „Man erlebt den nächsten Tag ganz anders, man ist wirklich gerädert.“ In der Tat hatte Eckhoff stressige Stunden hinter sich: Wer am Freitagabend einen Blick in die „Osteria“ warf, der konnte einen weiß behemdeten, erhitzten Fraktionsvorsitzenden beobachten, der sich fleißig durchs Lokal schob, Bestellungen aufnahm, Gerichte auftrug, Geschirr abräumte, kurzum: die Sache ernst nahm.
Erstaunlich nur: Eine Branche jenseits von allen Night-Audits und Schänken, in der nachts sehr hart gearbeitet wird, hat die CDU offenbar übersehen. Jedenfalls war keiner der Damen und Herren MdBB in einem Krankenhaus, bei einem ambulanten Pflegedienst oder gar im Hospiz erschienen. jox