: Pisa darf nicht grün sein
Pisa-Vater Andreas Schleicher diskutiert mit Parteien über die Notwendigkeit einer Schulformdebatte. CDU-Politiker Drews weicht aus, FDP-Politiker Schinnenburg spricht von „Zwangseinheitsschule der GAL“. GALier Maier will sie dennoch überzeugen
von KAIJA KUTTER
Ist die Hamburger GAL von allen guten Geistern verlassen, dass sie ausgerechnet mit „9 macht klug“, der Vision einer Schule für alle Kinder, in den Wahlkampf zieht? Oder ist dies die unumgängliche Antwort auf Pisa? Eine Art Kronzeuge in dieser Frage ist Andreas Schleicher, der die internationale Untersuchung für die OECD leitete. Auf Einladung des „Ida Ehre Kulturvereins“ war er gestern extra aus Paris eingeflogen, um in der Altonaer Max-Brauer-Schule an einer Diskussion mit Hamburger Parteien zur Wahl teilzunehmen.
Deutschland geht schwierigen Zeiten entgegen. Im Jahr 2030, so Schleicher, wird jeder Zweite über 65 sein. Wolle man die Zahl der Erwerbstätigen halten, so müssten jährlich eine Million Migranten integriert werden. Gleichzeitig wird manuelle Produktion bis dahin nur noch 10 bis 20 Prozent ausmachen. Schleicher: „Wir werden einen dramatischen Mangel an hochqualifizierten Fachkräften haben und mit denen, die eine schlechte Schulausbildung haben, nichts mehr anfangen können.“ Deutschland brauche deshalb mehr Menschen mit einem hohen Schulabschluss. „Jedem ist klar, dass das gegliederte Schulsystem mit seinen strengen Barrieren dies nicht einlösen kann.“
Alle erfolgreichen Pisa-Länder, so der Bildungsforscher, hätten „offene Bildungsstrukturen mit einer starken Konzentration auf die individuelle Förderung“. Deutschland hingegen setze die Strukturen fest und sortiere dann aus, nach dem Motto: „Wir machen das Richtige und haben leider die falschen Schüler.“
Das war deutlich. Die Grünen haben also Recht. Nur genau das scheint wohl das Problem zu sein. „Ich will ein 9-jähriges Schulsystem, das die Jugendlichen zusammenlässt“, erklärte der ehemalige Geschäftsführer der Handwerkskammer, Jürgen Hogeforster. Ein Viertel aller Schulabgänger sei heute nicht ausbildungsfähig, das könne sich Deutschland nicht leisten. Dennoch scheut er eine offene Schulstrukturdebatte: „Da steht dann in der Überschrift, die Handwerkskammer will das, was die Grünen wollen, und sofort war das Thema tot.“
Das deutsche Schulsystem sei „wenig kooperativ“, den Schülern werde vermittelt: „trennt euch möglichst rasch und kämpft euch einzeln durch“, erklärte der GAL-Politiker Willfried Maier. „Das Problem ist, dass dieses System ein Mythos ist, an dem die Elite hängt, obwohl nicht einmal die Gymnasiasten im internationalen Vergleich gut abschneiden.“ Diesen Mythos zu kippen gelänge jedoch nur, wenn man das Thema nicht umschifft. „Wir müssen diese Herren da überzeugen“, sagte Maier und zeigte auf Wieland Schinnenburg (FDP) und Wolfgang Drews (CDU).
Schinnenburg jedoch blieb stur: „Eine Zwangseinheitsschule lehne ich strikt ab.“ Schon beweglicher reagierte da Drews. Nachdem er zunächst konstatiert hatte, die Frage der Folgen aus Pisa „hat mit dem Schulsystem nichts zu tun“, erklärte er später, er würde in der Bildungsdebatte gern „loslassen von Parteipolitik. Sie müssen sich vorstellen, dass natürlich auch ich in der eigenen Partei Gedanken bewegen muss von Leuten, die wesentlich älter sind.“
Ein wenig herumlaviert wird bei der SPD, was an der Elternbasis für Unmut sorgt. Schulexpertin Britta Ernst erklärte immerhin, für die SPD sei es ein Ziel, die Zahl der Abiturienten von jetzt 33 auf 50 Prozent zu steigern. Eine Schulstruktur könne man jedoch nicht „von einem Tag auf den anderen“ ändern.
Die erfolgreichen Pisa-Staaten hätten ihre Bildungssysteme in einem „überschaubaren Zeitraum“ erneuert, erklärte Schleicher und nannte die Debatte enttäuschend: „Das Problem ist, dass sich nichts verändert.“