piwik no script img

Archiv-Artikel

Skandalnudeln nach türkischer Art

Nach großen Tönen in der Hinrunde herrscht bei Oberligist Türkiyemspor Chaos. Der Präsident feuerte den alten Trainer per SMS, der Neue kämpft gegen den Abstieg. Jetzt kriegen die Kreuzberger zudem Konkurrenz als erfolgreichster Migrantenclub

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Es sollte eine große Saison werden für den BFC Türkiyemspor. Präsident Kadir Aslan gab noch im Herbst, als der Rückstand auf Oberligatabellenführer SV Babelsberg bereits auf neun Zähler angewachsen war, als Saisonziel den Aufstieg in die Regionalliga an.

Jetzt nach der Winterpause sind ganz andere Töne zu vernehmen aus Kreuzberg. Unlängst sagte der Trainer: „Wir brauchen noch sechs Punkte, um den Abstieg zu vermeiden.“ Der Trainer heißt Thomas Herbst und ist erst seit ein paar Wochen im Amt. Ein Amt, um das ihn sicher nicht viele beneiden. Denn es herrscht der gewohnte Zustand im ehemaligen Kreuzberger Kultklub: das Chaos.

Zu Saisonbeginn hatten sich neutrale Beobachter noch gewundert, wie die Mannschaft auftrat. Da wurde ausgesprochen schöner Fußball gespielt. Trainer Wolfgang Sandhowe war verantwortlich für Angriffsfußball. Der Kreuzberger Kiezkicker Michael Fuß schoss sagenhafte 22 Tore in der Hinrunde, und auch die größten Skeptiker waren beeindruckt.

„Den Verein wach geküsst“

Mitverantwortlich an dieser Konsolidierungsphase bei Türkiyemspor ist sicherlich auch ein Konkurrenzverein aus dem Wedding. Der SV Yesilyurt hatte den Aufstieg in die Oberliga geschafft und war mit dem Ziel angetreten, den Kreuzbergern den Status als erfolgreichster Migrantenverein streitig zu machen. Darauf haben die Verantwortlichen bei Türkiyemspor reagiert, haben Geld für eine relativ gute Mannschaft aufgetrieben und sich große Ziele auf die Fahnen geschrieben. „Wir haben die doch wach geküsst“, hat der Manager des SV Yesilyurt, Gökmen Ilkiyaz, immer wieder erzählt.

Die Vereine mögen sich nicht unbedingt, waren sich aber bewusst, dass beide Clubs von einer gesunden Rivalität nur profitieren können. 1.200 Zuschauer waren zum Derby in der Hinrunde erschienen, eine für Berliner Oberligaverhältnisse fantastische Zahl. Amateurfußball schien wieder zu leben.

Gestern nun, beim Rückspiel im Katzbachstadion, verloren sich gerade einmal 161 Zuschauer auf den Rängen. Und das lag sicher nicht nur an der zeitgleichen Liveübertragung von drei Erstligaspielen aus der Türkei. „Für uns ist die Saison vorbei, wir haben keine Ziele mehr“, meinte Türkiyemspor-Geschäftsführer Mete Sener vor dem Spiel. Das Spiel war uninteressant geworden für die meisten Fans. Das Sportliche spielt keine Rolle mehr. Türkiyemspor war wieder einmal zur Skandalnudel des Berliner Fußballs geworden.

In der Hinrunde wurde ein vorentscheidendes Spiel gegen Babelsberg verloren und der Club begann zu zerfallen. Eine Niederlage gegen den Berliner AK, eine Mannschaft aus dem Tabellenkeller, konnte Aslan nicht verdauen. Als er erfuhr, dass sein Trainer Sandhowe mit dem BAK über eine Anstellung für die kommende Saison verhandelt hatte, griff er zum Handy. Er feuerte den Coach per SMS.

Danach streute er Gerüchte und beschuldigte Sandhowe der Bestechlichkeit. Er soll 1.000 Euro vom BAK angenommen haben und als Gegenleistung eine Niederlage gegen den Lokalrivalen versprochen haben. Der Beschuldigte widerspricht dieser Darstellung vehement.

Ein wahrer Junge vom Kiez

Michael Fuß, der Hauptverantwortliche für die guten Resultate in der Hinrunde, hatte die Schnauze voll und wechselte zum Ligakonkurrenten Tennis Borussia. Immerhin zeigte er sich als wahrer Junge vom Kiez und ließ in seinen Vertrag schreiben, dass er bei Spielen gegen seinen Exclub nicht auflaufen darf. Nach der Winterpause fanden sich gerade noch ein Dutzend Spieler zum Training ein. Es geht nur noch darum, die Saison irgendwie zu Ende zu spielen. Gegen Yesilyurt wurden zwei A-Jugendliche in den Kader berufen, die sich wacker schlugen.

Das 0:0, das die Kreuzberger gegen den ehrgeizigen Verein aus dem Wedding erreicht haben, ist angesichts der Vorkommnisse der letzten Wochen sicherlich ein Erfolg. Die 15 ewig treuen Fans, die sich unter der Fahne des Fanclubs Kreuzberg versammelt hatten, haben ihre Mannschaft jedenfalls gefeiert, als hätten sie die Stadtmeisterschaft der Migrantenvereine gewonnen.