Ins Dunkel starren

Dem Meister nah: Marilyn Manson gab in Berlin den Ästheten des Schreckens und sang drei Songs. Der Rest kam vom Band

von SUSANNE MESSMER

Im Vorfeld hieß es, Marilyn Manson habe sich Berlin für die Europapremiere seines neuen Albums ausgesucht, weil es dort so mächtig kreativ zugegangen sei. Zumindest, bevor der Nationalsozialismus der Moderne auf dem Leib gerückt sei. Marilyn Manson und entartete Kunst? Amerika und die Grenzen der Zensur? Na ja. Weil die Plattenfirma in ihrer Einladung ausdrücklich darum bittet, in Abendgarderobe zu erscheinen, will man sich diesen Zirkus dann aber doch nicht entgehen lassen.

Und richtig geraten: Was haben sie sich in Schale geworfen, all die Berliner Halbprominenten und weit gereisten Hardcorefans! Selten hat das Foyer der Volksbühne Wilderes gesehen: Eine Hundertzwanzig-Kilo-Dame trägt ein enges Schlauchkleid, das die Tattoos auf ihren Schultern freilegt. Ein kahl Rasierter hat eine Metzgerschürze gewählt, eine hübsche Blonde Krankenschwesternuniform. Plötzlich ein Raunen: Marilyn Manson mischt sich ins Volk. Ein paar Fans fallen fast in Ohnmacht, da ist er, Brian Wagner, wie er wirklich heißt, ganz in Erdbeerrot, Frack, Plateauschuhe, hoher Zylinder, der Mund dick geschminkt und auch die weiße Kontaktlinse darf nicht fehlen – beeindruckend. Gravitätisch schreitet er seine Bilder ab, die er erstmals in Europa zeigt: Zartschmelzend verwischte Aquarelle von kranken Homunculi mit Löchern, wo sonst Augen sind. Marilyn Manson sagt ernste Dinge in die Kamera, die ihn begleitet: Wie sehr ihn die Figur des Dandys interessiere. Das Leben der Schönheit unterwerfen, sich mit gelangweilter Pose gegen das bürgerliche Nützlichkeitsdenken der modernen Welt stemmen, das möchte auch er.

Auf den Gängen des Foyers marschieren zehn Menschlein in Braunhemden auf und ab – ihre Gesichter sind mit Mullbinden maskiert, sie drücken beim Gleichschritt die Knie durch, als hätten sie Platinplatten in den Gelenken, reagieren nicht auf Ansprache, folgt man ihnen aber, so gelangt man in einen anderen Teil des Foyers. Hier hängen übergroße Fotos Marilyn Mansons von Gottfried Hellnwein, noch so ein Ästhet des Schreckens. Manson mit der obligatorischen Hellnwein-Zahnspange, Manson als drogenabhängige Mutter, Manson mit runden schwarzen Ohren, den Ohren von Mickey Mouse, dem Symbol für amerikanisches Pflichtbewusstsein schlechthin. Plötzlich steht Marilyn Manson mit Gottfried Hellnwein vor den Bildern, und Antje Vollmer gesellt sich dazu. Auf erstauntes Nachfragen sagt sie, es habe sie einfach mal interessiert, das seien ja exzellente Bilder.

Endlich beginnt die Vorstellung – kein Konzert, wie jeder weiß, aber etwas ganz Besonderes, wie alle hoffen. Zunächst läuft ein Ausschnitt aus Michael Moores Oscar-prämiertem Film „Bowling for Columbine“. Man erinnert sich an den Amoklauf zweier Schüler in Littleton, nach dem Marilyn Manson stellvertretend als großer Verführer der Jugend angeklagt war. Seit er im Film recht reflektierte Dinge über den Zusammenhang von Waffenkontrolle und Wahlkampf gesagt hat, wird Marilyn Manson plötzlich auch hierzulande nicht mehr nur für blödes Kasperletheater im Stil von Alice Cooper und Kiss gehalten. Auch gilt er als ernst zu nehmender Zitatkünstler, der den ganzen Finsterkult von Industrial und Dark Metal noch einmal in die ausgeklügeltsten Blüten treibt und – „der Mann ist ja nicht dumm“ – auf seiner Homepage philosophische Essays verbreitet und mit seinen Fans über Nihilismus und die Lyrik des Symbolismus diskutiert. Anstatt aber zur Eröffnung des Abends die neue Rolle des Amerikakritikers auszufüllen und etwas über Irak zu sagen, redet Marilyn Manson dann doch nur von der Freiheit des künstlerischen Ausdrucks und seinem neuen Album als Flucht aus der Welt.

Die Bühne verdunkelt sich mit einem Schlag, man starrt ratlos ins Nichts, und die ersten Töne des neuen Albums kommen vom Band. Das Lied geht zu Ende, verhaltener Applaus, das zweite Lied geht los, kein Marilyn weit und breit. Das neue Album: „Bang bang bang“, „Doll-dagga buzz-buzz ziggety-zag“, „Ka-boom, ka-boom“. Wie gehabt: Ein undifferenzierter Wutbrei aus Geschrammel und Geschrei – angenehm stumpf, das alles. So geht das noch eine ganze halbe Stunde. Der Applaus wird immer spärlicher. Wen wundert’s: Die Wenigsten hier werden noch Karten für den regulären Preis von 20 Euro bekommen haben, zuletzt „lag der Schwarzmarktpreis bei 261 Euro“, tönte stolz die Plattenfirma. Endlich geht der Vorhang wieder hoch, eine Frau legt einen konventionellen Strip hin, Vorhang wieder zu. Warum umgibt sich eigentlich sogar noch ein sexuell Ambivalenter wie Marilyn Manson nur mit nackten Damen, fragt man sich gelangweilt, während in völliger Dunkelheit der Rest des neuen Albums abspult.

Äußerst ermattet kann man nur noch hinnehmen, dass Manson am Schluss noch mal für zehn Minuten die Szene betritt. Drei ganze Songs singt er zum Klavier, einen alten Hit, einen neuen Hit und den unvermeidlichen „Alabama Song“. Wie mickrig das alles, v. a. wenn man weiß, was sonst seine Freakshows so hergeben: Aber es hilft nichts, der Abend ist vorbei, wenigstens durfte man ihm, dem Meister, so nah kommen, dass man jetzt weiß: Er riecht nach nichts.