: Halb und halb gegen den Krieg
Wenn man dem unendlichen Wuchern der Diskurse nur noch zusehen kann wie einst der Evangelist Johannes der Apokalypse: Kathrin Rögglas neues Stück „die 50 mal besseren amerikaner/fake reports“ unter Barbara Webers Regie in den Sophiensaelen
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Breit gebaut und dicht beschrieben sind die Textflächen in Kathrin Rögglas neuem Stück „die 50 mal besseren amerikaner/fake reports“ – Diskursertüchtigung und Ich-Ermüdung prägen eine Redeweise, die sich tief in die Falten kollektiver Bewusstseinslagen eingraben will. Es geht um die Veränderung der Wahrnehmung nach dem 11. 9. 2001, den die Autorin in New York erlebte. Fast ihr ganzes, von vier Personen in den Sophiensaelen aufgeführtes, Stück ist in der indirekten Rede gehalten, im Ton der Vermutung, des Verdachts, des Nichtbeweisbaren. Wie die Angst eine neue Wirklichkeit hervorbringt, wie Normalität zum artifiziellen Pflichtprogramm wird, wie die Selbstbeobachtung das Selbstverständnis bis zur Auflösung untergräbt: Diese Denkfiguren spiegelt der Text.
Die Bühne, die die Regisseurin Barbara Weber und ihr Raumdesigner Tjorg Beer dafür entworfen haben, gleicht einem Kinderspielplatz ebenso sehr wie einem Kriegsschauplatz. Das Infantile und das militärisch Wehrhafte fallen zusammen im Radical Chic der Kostüme und in den Pappkartonhütten und Klapphockern, mit denen die Spieler ihre Positionen markieren. Hier wird trainiert, nichts und niemandem zu trauen, schon gar nicht der eigenen Erfahrung. Hier wird das Leben in Autarkie geübt, alles sehen, wahrnehmen, hinterfragen – aber nirgendwo teilnehmen.
Von Zeit zu Zeit tauchen die Redenden, erschöpft vom Fluss der Worte, die durch sie hindurchgehen wie durch weit aufgespannte Antennen, mit den Köpfen unter blauen Glocken. Sie stöpseln sich ein, sie laden nach, sie tanken an den Datenbanken neue Informationen auf. Das sind witzige Bilder, die sich gegen die ständige Überforderung durch den Diskurs stemmen. Solche äußeren Akzente sind notwendig, denn es ist schwer, dem rhythmisch nur wenig strukturierten Text ständig zu folgen.
„also sie sei so gegen den krieg, aber nicht so wie früher, mehr so halb halb gegen den krieg, oder mehr oder weniger gegen den krieg. aber sie wisse jetzt auch nicht, dürfe man noch gegen den krieg sein, das frage sie sich jetzt schon.“ Vorgetragen wird solche Diffusität einmal auf einer Art Laufsteg. Die Haltungen zum Krieg, zur inneren Sicherheit, zum Vertrauen in die Bilder der Medien: Alles wird zu einer Art Wettrennen, zu einer Messlatte für den eigenen Status. Ein anderes Mal geben sich die Spielenden als Teilnehmer eines mit „Realitätspartikeln hochgerüsteten Computerspiels“ aus: Als ob jede Identität Ergebnis eines vorprogrammierten Rechenprozesses sei. Kein Wunder, dass sich da kein Ich und kein Du mehr zwischen den Sätzen verirrt, dass alles ankommt wie aus zweiter Hand. Mit diesem Zerbröseln der Subjekte erweisen sich auch die Angriffsflächen zunehmend als weich und klebrig. Das Denken läuft heiß und kommt doch nicht vom Fleck.
Die unaufwändige Inszenierung kommt mit ein paar Requisiten aus Karton und zugeschnitztem Schaumstoff aus, die fast wie zufällig auf die Bühne gekippt wirken. Das ist die neue Sparsamkeit, die hier auch mit einem gewissen koketten Stolz vorgezeigt wird. Der Text aber wickelt sich Schicht um Schicht um diesen auseinander fallenden Ort. Darin gleicht das Stück den Inszenierungen von Pollesch: Als ob man immer mehr Welt und mehr Theorie in die Texte stopfen müsse, weil man dem Wuchern der Diskurse nur noch zusehen kann wie der Evangelist Johannes einst der Apokalypse.
Vom 17.–21. 4., 20 Uhr, Sophiensaele
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