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Archiv-Artikel

Frust am Bosporus: Merkel will dritten Weg

Die Türkei darf nicht EU-Mitglied werden, findet die CDU-Chefin. Sie plädiert für einen Sonderweg. Amnesty fürchtet: Wenn die Türkei nicht in die EU darf, schadet das den Menschenrechten. Denn Ankara hat dann weniger Anreiz, die Folter abzuschaffen

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

CDU-Chefin Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, sind heute in der Türkei eingetroffen – zu einem schon vorab heftig diskutierten Besuch. Merkel möchte der türkischen Regierung erklären, warum die CDU eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU ablehnt. Die Christdemokraten wollen Ankara lediglich eine „spezielle Partnerschaft“ anbieten. Das aber löst in der Türkei Kopfschütteln aus.

Gerade nachdem auf Druck der türkischen Regierung bei den Zyperngesprächen ein wichtiger Durchbruch gelungen ist, wird Merkel auf einhellige Ablehnung stoßen. Die Regierung in Ankara registriert verärgert, dass ihre Anstrengungen, sich den Kriterien der EU anzunähern, von der CDU offenbar nicht honoriert werden.

Die Union sieht das anders. Die Menschen innerhalb der EU, so Schäuble vor der Abreise, wären überfordert, wenn nach der jetzigen Erweiterung auch noch die Türkei hinzukäme.

Die CSU ist da noch rigoroser: Für sie gehört die Türkei nicht zu Europa. Deshalb könne sie auch nicht der EU beitreten.

Kritik an diesen Positionen äußern allerdings auch Unionspolitiker. Sowohl Volker Rühe, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, als auch der frühere CDU-Generalsekretär Rupert Polenz haben ihre Partei davor gewarnt, in der Türkeipolitik aus innenpolitischen Erwägungen mit der früheren Linie zu brechen. „Von Adenauer bis Kohl“, so Rühe, hätten alle CDU-Kanzler die Türkei zum Beitritt eingeladen. Das dürfe man nicht einfach aufgeben, nur weil man jetzt in der Opposition sei.

Auch die Vorsitzende von amnesty international (ai) in Deutschland, Barbara Lochbihler, hat im Anschluss an eine Türkeireise davor gewarnt, die erfreulichen Entwicklungen in der Türkei aus innenpolitischen Gründen zu gefährden. Lochbihler war gemeinsam mit der ai-Generalsekretärin Irene Kahn erstmals auch vom türkischen Regierungschef Tayyip Erdogan empfangen worden. Ingesamt hätte sich ihnen die Entwicklung der Menschenrechte in der Türkei positiv dargestellt, so Lochbihler: „Der Ministerpräsident hat sich unsere Kritik interessiert angehört und war bereit, darüber zu diskutieren. Wir hatten ein sehr offenes Gespräch.“ Dennoch sei die Situation weiterhin schwierig.

Amnesty hat der türkischen Regierung ein Memorandum vorgelegt, in dem vier Bereiche als nach wie vor problematisch kritisiert werden. Das sei zum einen die Folter. Zwar wird nach Informationen von ai kaum noch so gefoltert, dass die Opfer schwere körperliche Schäden davontrügen. Dafür aber gebe jetzt aber andere Mittel, die im Nachhinein schwerer nachzuweisen sind, wie Schlaf- oder Essensentzug und psychischer Terror. Ein solches Foltermittel seien etwa Scheinhinrichtungen.

Amnesty weist außerdem darauf hin, dass nach wie vor kaum ein Polizist wegen Foltervorwürfen angeklagt oder verurteilt werde. Auch gebe es immer noch Anklagen und Verurteilungen, weil Menschen ihre Meinung frei äußerten. Ebenso beklagt amnesty, dass der türkische Staat sich zu wenig bemühe, Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen.

Verglichen mit der Situation vor einigen Jahren hat nach Einschätzung von Barbara Lochbihler der Prozess der EU-Annäherung die Situation aber bereits erheblich verbessert. „Die Reformen kommen zwar auch aus innerem Antrieb, der Prozess ist aber noch so instabil, dass der äußere Druck aufrecht erhalten werden müsse“, meinte Frau Lochbihler. Amnesty gebe zwar keine Empfehlungen für oder wider einen EU-Beitritt der Türkei ab, „aber die Politiker, die der Türkei keinen Termin für den Beginn von Beitrittsverhandlungen geben wollen, sollten sich gut überlegen, welche Konsequenzen das hier hat“, sagte sie an die Adresse der CDU/CSU. „Wenn diese Regierung scheitert, wäre das ein großer Rückschlag für die Menschenrechte.“