: Abenteuer im Viertelstundentakt
Wie „Go Media“, die kanadische Reisemesse für Journalisten, ihr Publikum – 125 Reisejournalisten aus aller Welt – verwöhnt
„Abenteuer? Der Kerl will Abenteuer“, dröhnt Geoff durch den Saal. „Du wirst deine Abenteuer kriegen, Buddy!“ Und schon ist der gelernte Buschpilot und Jagdführer nicht mehr zu bremsen: Im Großen Bärenwald findest du Grizzlybär und Spirit-Bär. Durch das Brittany-Dreieck galoppieren Herden von Wildpferden. Was hältst du von einer achttägigen Tour über elf Seen des Bowron Lake Park – nur was für echte Kanufreaks? Oder hoch im Sattel auf den Spuren der Goldsucher nach Barkerville … und das alles, Buddy, findet sich in B.C., in British Columbia, und das alles, Sohn, wird organisiert von Cariboo Tourism, für die sich Geoff, der Mann mit dem dröhnenden Lachen, diesen Freitagnachmittag von 14.30 bis 14.45 Uhr ins Zeug legt.
Ein geschäftiges Summen liegt in der Luft des Kongresszentrums von Québec. An langen Tischen sitzen sich 125 Journalisten aus aller Welt und die Vertreter von 117 Reiseveranstaltern und Touristbüros gegenüber, jeweils eins zu eins – und überall geht es um Kanada, Kanada, Kanada. 15 Minuten haben die Touristikvertreter, um ihrem Gegenüber die Vorzüge ihres Unternehmens unvergesslich einzubläuen. Dann wird gewechselt. Go Media ist eine Messe der kanadischen Reiseindustrie nur für Journalisten. Die sind am Vortag aus Kanada, China, Australien, den USA und Europa angereist, ins fünfsternige Le Chateau Frontenac. Doch die Vorbereitungen hatten schon viel eher begonnen: Jeder Journalist erstellte ein Profil seiner Interessen, Auftraggeber und Publikationen , fand im Internet die Kurzbeschreibungen der teilnehmenden Firmen und bastelte sich im Vorweg eine Liste der Leute, die er gerne treffen wollte. Jeder reiste mit dicht gefülltem Stundenplan an.
Im Hotelzimmer warteten erste Gute-Laune-Macher: Tasche, Trinkflasche, USB-Stick. Saskatchewan steuerte einen Regenschirm bei, Québec ein Kochbuch. Das Hotel grüßte mit Bildband und Pralinen. Aber natürlich war dies nur der Anfang. Was während der kommenden zweieinhalb Tage an Kugelschreibern, Gläsern, Baseballmützen und weiteren USB-Sticks über die Tische wandern würde, hatte einigen Branchen der chinesischen Industrie vorübergehend Vollbeschäftigung beschert.
Doch jetzt warten die Mühen der Ebene. Kingston, sagt Deanna: gepflegtes Essen in Fort Henry. Paddeln auf dem St.-Lorenz-Strom. Im Ontariosee liegen 300 Schiffswracks zum Tauchen. Und, ach ja, Dan Ackroyd ist auch in der Stadt geboren. – Neues jetzt im Viertelstundentakt: Josie von British Columbia hat einen Vater aus Berlin und schwärmt von Rundfahrten auf alten Bahntrassen. Diane aus Ontario erzählt vom „Little bear“-Zug, der überall auf Verlangen hält, und vom Schwimmen mit Eisbären – hinter der Glasscheibe. Nancy vertritt Tartan PR und edle Hotels und weiß von einem Benediktinermönch, mit dem man Pilze sammeln geht – „doch auch ein Abenteuer, oder?“ Elizabeth aus New Brunswick ist erstmals hier und hat sich so ins Zeug gelegt, dass ihre Stimme weg ist. Nicht weiter schlimm, Liz: Nach New Brunswick geht es ohnehin hinterher …
Region auf Region tut sich auf. So viele wilde Wanderwege, großartige Felsen und aufregende Buchten, so viele neue Survival-Camps, Kanubetreiber und Reitertouren: Hunderte von Ideen – und viel zu wenig Leserinnen und Leser dafür. Und dann noch dieser Tipp von Darlene. Darlene von der Canada Tourism Commission stammt zufällig aus St. John’s, und da der Journalist sich zufällig ein wenig auskennt in St. John’s, plaudert man sich weg und landet plötzlich bei einer alten Leiter, die in einem kleinen Ort an der Küste Neufundlands … Welch ein Dusel: Gerade hier auf eine Geschichte zu stoßen, von der kein anderer der 124 Kollegen weiß. Eine Spur von Anarchie!
Auch außerhalb dieser Treffen versuchen die „Destinationen“ alles, sich möglichst originell von der Konkurrenz abzuheben. Ottawa stellt ein Frühstück mit Blutwurst und Bauchspeck. Der Skiort Whistler lädt zum Picknick und bringt sich als Ausrichter der nächsten Go Media ins Gespräch: „Whistler – Tatsache oder Fiktion?“ Hamburger und Salate jedenfalls sind real, nicht minder die Flasche Schampus, die jedem Teilnehmer am Ende zugesteckt wird. Saskatchewan versucht es anders: keine Geschenke für die Presse. Aber auf den Tischen stehen Tüten mit Schulmaterial? Des Rätsels Lösung: Die gehen hinterher an bedürftige Kinder – versehen mit schriftlichen Grüßen der Gäste. Ein Glas Kirschmarmelade umsonst darf es dann trotzdem sein.
Alberta gibt eine Modenschau. „Paul Hardy interpretiert die Wildrose“. Schwarze Ballons hängen über schwarz-weiß gestreiften Tischen, Schwarzweißfotos huschen über den Monitor, hohe Damen in hohen Schuhen stöckeln über den schwarzen Laufsteg, in grauen Pelz, braune Federn und erdfarbene Wolle gehüllt. Jeder Teilnehmer erhält ein Taschentuch aus der Werkstatt des Meisters. Wer zudem ein rosa Band darum findet, ist Gewinner eines iPod, 4 GB.
Aufmerksamkeit ist die kostbarste Ware im Medienzeitalter, das hat die Tourismusindustrie als eine der Ersten erkannt. Und ihre Dealer sind die Journalisten. Sie heißt es sich gefügig oder wenigstens geneigt zu machen. Und also beschenkt man sie mit Worten: „Jeder gute Bericht ist ein Guckloch in die Seele einer Region“, polstert sie mit Kulinarischem und lockt sie mit Prämien: Kollegin Judy aus den USA erhält 1.000 Dollar als Preis für eine Kanadageschichte. Und ist, wie es sich geziemt, ganz außer sich vor Freude.
Abends speisen die Teilnehmer hoch oben im Drehrestaurant L’Astral. Kantig ragt die Silhouette des Frontenac in die Nacht, dunkel zieht der St.-Lorenz-Strom dahin. Und während sie einen Bissen von ihrem zarten Kalbssteak nehmen und mit einem Cabernet Sauvignon Fetzer von 2006 nachspülen, können sie gar nicht anders, die Journalisten, als diesen einen Satz, für den man sie nach Québec geholt hat, zu denken und zu notieren: „Schön ist es hier.“ FRANZ LERCHENMÜLLER