: Die Zerstörung der Kulturen
Die Plünderung eines so bedeutenden Museums dürfte historisch tatsächlich einmalig sein: Das Nationalmuseum in Bagdad wurde vom Pentagon ohne jeglichen Schutz gegen seine erwartbare Plünderung gelassen. Mit ihrer Verantwortungslosigkeit schreiben die alliierten Truppen unrühmlich Geschichte
von BRIGITTE WERNEBURG
Das Argument des American Council for Cultural Policy (ACCP) hat, man muss es zugeben, durchaus etwas für sich: Die antiken Kunstschätze des Irak seien in amerikanischen Museen, vor allem aber in amerikanischen privaten Sammlungen viel sicherer als in dem kriegsversehrten Land. Deshalb wandte sich die Vereinigung reicher Sammler und einflussreicher Anwälte mit Sitz in New York, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, endlich wieder Schwung in den weltweiten Handel mit Antiquitäten zu bringen, gleich einmal an das Pentagon als Herr der künftigen Militärverwaltung mit der Bitte, die Ausfuhrbestimmungen für das kulturelle Erbe im Falle des Irak zu lockern.
Das Pentagon scheint die Bitte gehört und verstanden zu haben. Jedenfalls tat es bislang alles dafür, das Sicherheitsargument des ACCP zu stützen. Nirgendwo stand ein Panzer, nirgendwo war bewaffneter Schutz für das National Museum in Bagdad zu sehen, eines der größten und bedeutendsten Museen der Welt. Schutz, der für das Ölministerium in der Hauptstadt selbstverständlich bereitgestellt wurde. Nach zwei Tagen sind achtzig Prozent der wertvollen Sammlungen zerstört und geraubt. Unschätzbare Kostbarkeiten der mesopotamischen Hochkulturen, eines wahren Weltkulturerbes, sind verloren gegangen. Der Hauptteil der Plünderungen verdankt sich dem Furor der Einwohner Bagdads, wütenden, gierigen Menschen, die keine Ahnung von der kulturellen Bedeutung der Artefakte haben, von deren finanziellem Wert ganz zu schweigen. Wüssten sie vor allem von Letzterem, hätten vielleicht sogar sie anders gehandelt. Doch neben dem Mob aus dem Stadtteil al-Salhija, der das Museum stürmte, das in ihrem besonders armen Wohnviertel liegt, vermuten Fachleute, haben sich auch etliche Kenner an den Plünderungen beteiligt und die Kunstschätze gezielt entwendet. Dass selbst die Tresorräume geöffnet wurden, in die die Museumsleute schon vor dem Krieg die kostbarsten Stücke verbracht hatten, stützt die Aussage und deutet darauf hin, dass auch einige Museumsangestellte an diesen Raubzügen beteiligt waren.
Erst vor drei Jahren war das Nationalmuseum wieder eröffnet worden, nachdem die Schäden des letzten Golfkriegs behoben und die Kunstwerke wieder in der Schausammlung aufgestellt waren. Mehrere 100.000 Objekte sind nun verschwunden, goldene Schalen, Begräbnismasken, Schmuck und Juwelen, aber auch die Statue der Gottheit Ram, die um 2600 v. Chr. in Ur entstand. Nur Bücher scheinen dem Raubzug entgangen zu sein, etwa einige islamische Manuskripte und hebräische Texte.
Eine Plünderung und Zerstörung von solchen Ausmaßen in einem derart bedeutenden Museum dürfte historisch einmalig sein. Die alliierten Kämpfer für Freiheit und Demokratie schreiben damit unrühmlich Geschichte. Sie waren nicht ahnungslos, auch wenn sie den Furor und den Selbstzerstörungswillen der irakischen Bevölkerung unterschätzt haben mögen. Doch die Tatsache, dass jeglicher Schutz verweigert wurde, deutet auf Absicht hin. Ein bisschen Plünderung, die – wie Herr Rumsfeld meint – eben zum Krieg gehört, war offensichtlich gewollt. Wohl durchaus in dem Sinne, in dem der Sunday Herald letzte Woche titelte: „Die Vereinigten Staaten planen Plünderung irakischer Antiquitäten“. Erfahrung hatte man ja schon aus dem Golfkrieg 1991, in dem einige Regionalmuseen ausgeraubt wurden. Von den 4.000 damals verlorenen Stücken sind bislang vier wieder aufgetaucht. Für viele der Stücke dürfte gelten, was ACCP-Gründer Ashton Hawkins im Art Newspaper zum Besten gab: „Manchmal ist die Verstreuung von Kulturgütern ein Garant für deren Erhaltung.“ Freilich nur im Verborgenen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, beispielsweise in den Sammlungen reicher Ölmilliardäre – es müssen ja nicht alle so kulturfern sein wie G. W. Bush und seine Freunde.
Tony Blair, der – anders als das Pentagon – bislang keine Zeit hatte zu hören und zu verstehen, als sich britische Archäologen und Museumsleute mit warnenden Briefen und Hilfsangeboten an ihn wandten, sah sich gestern mit einem offenen Brief im Guardian konfrontiert. Nachdem nicht nur das Zentralmuseum von Bagdad und die Sammlung antiker Schriften in Mossul, sondern auch das Nuturkundemuseum in Basra geplündert wurden, fordern die Fachleute, dass die Schutzbestimmungen keinesfalls, wie der ACCP fordert, aufgehoben werden dürfen; dass Großbritannien kein Handelsplatz für geraubte Kulturgüter aus dem Irak werden darf; dass die Regierungen der beiden Länder sofort die Haager Konvention zum Schutz des kulturellen Erbes in Kriegszeiten unterzeichnen und dass sie endlich die Genfer Konvention umsetzen, die es ihnen als Besatzer auferlegt, für den Schutz der Kulturgüter zu sorgen.