Das Fieber steigt

Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao und Premierminister Wen Jiabao wechseln in der SARS-Krise von der Schweige- an die Krankenfront

aus Peking GEORG BLUME

Von einer umfassenden Aufklärung der chinesischen Öffentlichkeit über die neue Lungenerkrankung SARS (Schweres Akutes Respiratives Syndrom) kann noch immer keine Rede sein. Wo auch immer man in China gestern die Zeitungen aufblätterte oder Radio und Fernsehen einschaltete, war in Sachen SARS offiziell „alles unter Kontrolle“. Nur widersprachen die staatlich gelenkten Medien damit inzwischen der Einschätzung von Ministerpräsident Wen Jiabao. Der hatte am Sonntag auf einer hastig anberaumten nationalen SARS-Konferenz erstmals eingeräumt, dass die Infektionslage in China „ernst“ sei und die Gesamtverfassung der Volksrepublik beeinträchtige. Deshalb gebühre der Bekämpfung des Virus „höchste Priorität“.

Im Einklang mit Signalen von Partei- und Staatschef Hu Jintao, der am Wochenende unangekündigt die SARS-Krisenregion Guangdong bereiste, deuteten Wens Worte auf eine Wende in der Regierungpolitik. Zuvor hatten Vertreter ausländischer Großkonzerne China einen Mangel an Transparenz vorgeworfen und vor erheblichen Wirtschaftsschäden gewarnt. Die Rede war von einer „Glaubwürdigkeitskrise“ der erst seit März amtierenden neuen Regierung.

Anlass zur Sorge gab bis gestern insbesondere die SARS-Situation in Peking. Während hier offiziell nach wie vor nur 22 SARS-Fälle gemeldet sind, davon 5 Todesfälle, ging man in den Führungskreisen westlicher Unternehmen davon aus, dass es in Peking bis heute bereits über 30 Todesfälle gebe. Sogar hochrangige Mitglieder der Regierung äußerten sich gegenüber den Firmen erstaunt über den Mangel an öffentlicher Transparenz bezüglich der Krankheit.

Allein die Tatsache, dass sich Parteichef Hu am Wochenende mit dem Regierungschef der Sonderzone Hongkong, Tung Chee Hwa, traf, zeugt von der Unzufriedenheit der obersten Führung mit dem bisherigen Umgang mit SARS. Hongkongs Maßnahmen zur Bekämpfung von SARS gehen über alles, was derzeit in der kommunistisch regierten Volksrepublik unternommen wird, weit hinaus, wurden aber von Hu ausdrücklich gelobt. Heißt das nun, dass bald in allen Flughäfen China bei ausreisenden Passagieren das Fieber gemessen wird wie jetzt in Hongkong geplant?

Bei den Festlandschinesen, die von der SARS-Gefahr wissen, nimmt die Unruhe jedenfalls nicht ab. Bestinformierte Leute wie etwa eine Mitarbeiterin des Pekinger Internetportals sohu.com meiden jede öffentliche Veranstaltung. Pekinger Studenten wollen niemand mehr treffen, der in den letzten Tagen ein Krankenhaus besucht hat. Zugleich wächst die Verunsicherung in Pekings Ausländerkreisen. Vor Hu und Wen liegt jede Menge Arbeit, wollen sie Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

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