: Nato-Einsatz gegen windschiefe Birken
Eine niederländische 8.000-Seelen-Gemeinde streitet mit der NATO um sechs Hektar Wald. Ein deutscher Bürgermeister befürchtet deshalb, den größten Arbeitgeber der Region zu verlieren. Ein grenzüberschreitendes Drama um Bäume, Dezibel und die Zukunft eines Militärstützpunkts
„16 Millionen Holländer zahlen 13 Milliarden Euro Umweltsteuer im Jahr. Wir halten uns an Reglementierungen, dann muss das die NATO auch tun“, sagt Jac Fijnaut. Tut sie das nicht, ziehen er und seine Gemeinde vor Gericht. Und wenn die NATO deshalb abzieht? „Dann sagen alle, dass sei unsere Schuld. Dabei fällt die Entscheidung nicht in Onderbanken, Geilenkirchen oder Den Haag, sondern in den USA.“
AUS GEILENKIRCHENKLAUS JANSEN
Im Niemandsland zwischen den Niederlanden und Deutschland liegt eine zweigeteilte Straße. Die westliche Fahrbahnseite gehört zu den Niederlanden, die östliche zu Deutschland. Eine halbe Autostunde ist es von hier bis Aachen, eine halbe Stunde bis Mönchengladbach und eine halbe Stunde bis Maastricht. Auf der niederländischen Seite der Straße stehen windschiefe Birken. Um den Stamm tragen sie rot-weiße Ringe aus Absperrband. Auf der deutschen Seite der Straße stehen Scheinwerfer und ein grauer Stacheldraht. Hinter dem Zaun liegt der NATO-Flughafen Geilenkirchen-Teveren, „der weltweit Beste, was Infrastruktur, Funk- und Elektronikausstattung angeht“, wie der Bürgermeister von Geilenkirchen sagt.
Von dieser Seite aus starteten AWACS-Flugzeuge im kalten Krieg zur Radarüberwachung der Ostgrenzen der NATO, danach zur Überwachung des Luftraums im Kosovo und der irakischen Flugverbotszone.
Die Bäume und der Flughafen haben ein Problem miteinander. Genauso wie die Stadt Geilenkirchen auf deutscher und die Gemeinde Onderbanken auf niederländischer Seite. Das Problem: Die Bäume auf der niederländischen Seite sind so hoch gewachsen, dass die AWACS-Maschinen nicht mehr vollgetankt abheben können – sie sind zu schwer. Um ihre mehrere tausend Kilometer entfernten Einsatzziele zu erreichen, müssen sie deshalb mit viel Aufwand in der Luft nachbetankt werden. „Die Bäume sind ein Sicherheitsrisiko. Sie müssen weg“, sagt Captain Jonathan Riley, Sprecher des Stützpunkts der NATO Airborne Early Warning and Control Force E-3A. Bis auf einen Meter Höhe sollen sechs Hektar Wald gekappt werden. Das will die NATO, das will die niederländische Regierung, das will die Stadt Geilenkirchen. Dringend.
Damit die Bäume nicht gefällt werden, tragen sie das Absperrband. Angebracht haben es die Leute um Jac Fijnaut vom Verein „Stop Awacs Overlast“, der sich gegen die Lärmbelastung durch die AWACS-Flüge wehrt. Fijnaut kommt mit dem Fahrrad zum Treffpunkt an der Grenze. Wie ein militanter Öko-Aktivist wirkt der 63-jährige mit seinem weißgrauen Bart trotzdem nicht. „Die Bäume müssen bleiben“, sagt er ruhig, aber bestimmt, „sonst fliegen die Maschinen noch tiefer, dann wird es noch lauter.“
Schon jetzt fliegen die Maschinen tief: Bei Kreisligafußballspielen in der Grenzregion bekommt der Zuschauer den Eindruck, dass der Torwart die AWACS mit einem hohen Abschlag treffen könne. Schon jetzt ist der Lärm ohrenbetäubend: Jac Fijnaut und seine Kollegen haben an einer Schule im niederländischen Ort Schinveld beim Landeanflug einer AWACS-Maschine 93 Dezibel gemessen. Erlaubt sind 70.
Das versetzt die sonst eher beschauliche Region Zuid-Limburg in Aufregung: Insgesamt 5.831 Bürger haben bereits Patenschaften für die Bäume am Ende der Einflugschneise übernommen. Mit vier Sonderbussen sind die Bürger der 8.000-Seelen-Gemeinde Oderbanken am vergangenen Dienstag nach Den Haag gefahren, haben die Unterschriften übergeben und gegen eine Rodung protestiert. „Wir 13 Millionen Holländer zahlen 16 Milliarden Euro Umweltsteuer im Jahr. Wir halten uns an Reglementierungen, dann muss das die NATO auch tun“, sagt Fijnaut. „Jemand muss etwas tun, sonst machen die, was sie wollen.“ Das was er tut, zeigt Wirkung: „Sogar die New York Times hat schon über Onderbanken berichtet“, sagt er stolz.
Die Gemeinde Onderbanken ist das gallische Dorf, das dem Imperium NATO mächtig auf der Nase herumtanzt. Nach niederländischem Recht muss nämlich die Gemeinde eine Abholzung anordnen. Die aber denkt nicht daran. „Wir sind nicht gegen die NATO, aber die sollen sich wie ein guter Nachbar verhalten“, sagt der politische Beigeordnete Hans Ubachs, der sich für die Gemeinde um den AWACS-Streit kümmert. Wer an die Bäume heran will, muss an ihm vorbei. Und das geht nur durch die so genannte Nimby-Prozedur. Nimby heißt „Not in my backyard“, das ist kein Witz, und erlaubt der Den Haager Regierung mit Zustimmung des Parlaments, den Widerstand der aufmüpfigen Gemeinde zu brechen. Das aber dauert, Onderbanken will kämpfen. Und wenn sich politisch nichts mehr machen lässt? „Dann wird die Gemeinde Onderbanken vor Gericht ziehen“, sagt Hans Ubachs. Er spielt den Ball zurück auf die deutsche Seite: „Die Stadt Geilenkirchen kann die Landebahn ja auf ihrer Seite verlängern.“ Schließlich bliebe auch der Großteil der geschätzten 65 Millionen Euro, die die NATO jährlich in die strukturschwache Region pumpt, auf deutscher Seite. „Die haben den Nutzen, wir haben den Lärm“, sagt Ubachs.
Die deutsche Seite, das ist CDU-Mann Franz Beemelmanns. Er ist Bürgermeister der 28.000-Einwohner-Stadt Geilenkirchen. Von einer Verlängerung der Bahn will er nichts wissen. „Wir müssten 850 Meter anbauen. Dann können wir gleich aus dem Park unseres Altenheims starten.“ Beemelmanns weiß, das er übertreibt, aber seine Entscheidung steht unumstößlich. Auch wenn sich nicht einmal Geilenkirchens AWACS-Lärm-Gegner derart vehement gegen einen Ausbau wehren. Elisabeth Solty von der “Initiative gegen AWACS-Emissionen“ sagt: „Lieber verlängern wir die Landebahn, als dass die Bäume weg müssen.“ Trotzdem: Sackgasse. Auch die NATO hält eine Startbahnverlängerung für unbrauchbar. Captain Riley: „Das löst unser Sicherheitsproblem nicht.“
Bleibt also Bürgermeister Beemelmanns, verärgert über seine Nachbargemeinde und in Sorge um die Zukunft seiner Stadt: Der AWACS-Stützpunkt, der 1.800 Soldaten und 1.200 Zivilisten beschäftigt, ist der mit Abstand größte Arbeitgeber weit und breit. „Es wäre eine Katastrophe für die Region, wenn der Verband abzieht“, sagt er. „Die meisten Leute nehmen die Angelegenheit nicht ernst genug. Mich wundert, dass die Arbeitnehmer nicht demonstrieren.“ Offenen Protest kann er von den US-Amerikanern, Kanadiern, Türken des Stützpunktes aber nicht erwarten – bei den meisten gibt es kaum Identifikation mit der Region. Viele kommen für ein paar Jahre, leisten ihren Dienst ab und werden weiter versetzt. Nur wenige holen ihre Familien nach und bleiben. Das merkt man auch, wenn man den Stützpunkt betritt: Zum Stützpunkt führt die „Yorckstraße“, in Geilenkirchen heißen die Straßen „Am Mausberg“ oder „Hinter den Höfen“. Die Kinder der Soldaten spielen Baseball und nicht Fußball. Die NATO-Leute haben sogar ihr eigenes Kino. Eine Stadt in der Stadt.
Der Protest der Niederländer ruft hier keine großen Emotionen hervor: “That‘s democracy. That‘s why we‘re here“, sagt Captain Riley. Ob sie noch lange hier seien, wenn sich das Problem mit den Bäumen nicht lösen ließe? Ein Fall für eine höhere Stelle: „That‘s politics. No comment.“ Auch das NATO-Hauptquartier in Brüssel äußert sich nicht zur Zukunft des Stützpunkts. „Reine Spekulation“ seien Gedankenspiele über einen Abzug, erklärt eine Sprecherin. Spekulationen, die die NATO jedoch selbst schürt: Im Dezember dachte das Hauptquartier für Europa im belgischen Mons laut über eine Teilverlegung des Verbandes nach Trapani in Italien oder Akteon in Griechenland nach. Bereits jetzt sind sechs Maschinen weniger in Geilenkirchen stationiert als sonst – angeblich zu Übungszwecken.
“In fünf bis zehn Jahren sind die hier eh weg“, sagt Onderbankens Beigeordneter Ubachs. „Wenn die NATO-Osterweiterung kommt, will jeder ein Stück vom Kuchen haben. Das Einsatzgebiet hat sich so weit nach Südosten verlagert, was will man da hier?“ Wer dann den Buhmann abgeben soll, ist den Niederländern klar: „Wenn die NATO geht, werden alle sagen, dass sei unsere Schuld“, sagt Jac Fijnaut. „Dabei fällt die Entscheidung doch nicht in Onderbanken, Geilenkirchen oder Den Haag, sondern in den USA.“ Zu große Politik für den kleinen Mann mit dem Fahrrad.
Die Lösung des Problems, da sind sich niederländische und deutsche Bürgerinitiativen einig, ist weniger kompliziert: Neue Triebwerke für die AWACS-Maschinen. Seit Jahren kämpfen die Lärmopfer grenzübergreifend dafür, dass die NATO die veralteten Antriebssysteme austauscht. Neue Triebwerke würden die Flieger nicht nur sicher über die Bäume bringen, sie wären auch noch leiser. Doch die NATO reagiert nicht. „Dadurch, dass sie seit Jahren überhaupt nichts machen, kippt die Stimmung“, sagt Fijnaut. „Früher wollten nur wenige, dass der Verband woanders hingeht, jetzt haben die Leute die Nase voll.“ Mittlerweile, das wird deutlich, geht es nicht mehr nur um Bäume und Dezibel, sondern um‘s Prinzip.
Emotionen und Politik vermischen sich im Grenzgebiet. Am Straßenrand der geteilten Straße steht eine Gedenktafel, aufgestellt vom Verein „Stop Awacs Overlast“. Darauf steht unter vier kleinen Kreuzen: „In Erinnerung an den 19.11.1999. Captain Ken Thiele, Major Dave Fite, Sergeant Rich Visintainer, Major Matt Laiho.“ Die vier Männer starben, als ein Tankflugzeug fast auf Höhe der Grenze abstürzte. Neben dem Abschiedsgruß an die Toten steht: „Zur Erinnerung an die aktuelle Gefahr und Belastung durch AWACS-Flüge.“