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Archiv-Artikel

Einzelgänger auf dem Weltmarkt

Die US-Regierung misst multilateralen Handelsabkommen zurzeit wenig Bedeutung bei

BERLIN taz ■ Die Absage aus Washington fiel schroff aus. „Dieser Vorschlag ist jetzt nicht praktikabel“, beschied John Taylor, Staatssekretär im US-Finanzministerium. Der Plan, verschuldeten Staaten einen Weg aus der Krise zu ebnen, „würde im Kongress keine Mehrheit bekommen“, ließ Taylor wissen.

Anfang April, zehn Tage nach dem Angriff auf den Irak, gab die US-Regierung damit ein Beispiel, dass ihre Geduld für internationale Organisationen auch auf dem Feld der Wirtschaft erschöpft ist. Den unilateralen Ansatz Washingtons bekam diesmal nicht die UNO zu spüren, sondern der IWF. Dessen Vizedirektorin Anne Krueger hatte vor anderthalb Jahren die Initiative für ein internationales Insolvenzrecht ergriffen, um einen Teil der Schulden von bankrotten Staaten zu annullieren.

Die großen US-Banken und Investoren haben diese Idee von Anfang an abgelehnt. Sie wollen kein internationales Recht, das die Schuldenfrage regelt, denn dadurch würden sie gezwungen, auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten. Dass Finanzstaatssekretär Taylor den Insolvenz-Plan jetzt offiziell zu Grabe trägt, ist ein Beleg für eine Verschiebung der Prioritäten. Einiges deutet darauf hin, dass die USA zwar am freien Weltmarkt interessiert sind, nicht aber an internationalen Abkommen, die dem Markt einen – wenn auch schwachen – Rahmen geben.

„Manches in der US-Politik läuft nicht mehr parallel mit dem internationalen Regelwerk“, sagt Thomas Straubhaar, Leiter des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA). „Bei der Welthandelsrunde scheint zurzeit Leerlauf und Stillstand zu herrschen.“ So blockiert die US-Regierung seit Ende 2002 den besseren Zugang von Entwicklungsländern zu Arzneimitteln. Während der Konferenz von Doha 2001 hatten die 146 Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation WTO beschlossen, dass Entwicklungsländer die Lizenzen der westlichen Pharmakonzerne durch den Import billiger Nachahmer-Präparate brechen dürfen, wenn sie einer Epidemie wie Aids anders nicht Herr werden.

Während die Erklärung von Doha festlegt, dass jedes Land selbst entscheiden könne, gegen welche Epidemie es Notmaßnahmen ergreifen wolle, beharrt der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick nunmehr auf einer Liste, die nur noch bestimmte Krankheiten erwähnt, darunter Aids und Malaria. Die Bekämpfung aller anderen Krankheiten mittels importierter Generika wäre ausgeschlossen. Die USA fallen damit hinter den von ihr mitgetragenen WTO-Konsens zurück.

Den Hintergrund bildet auch hier vor allem das Interesse großer US-Unternehmen. Konzerne wie GlaxoSmithKline lehnen die Verletzung ihrer Lizenzen ab, weil sie befürchten, ihre Forschungsausgaben sonst nicht amortisieren zu können.

Oskar-Erich Kuntze vom Münchner Ifo-Institut für Wirtschafsforschung warnt freilich vor Dramatisierungen. Bisher gebe es „keine Belege für einen neuen Unilateralismus“ auf ökonomischer Ebene, so Kuntze. Zwar sei auffällig, dass der Ton gerade zwischen den USA und der EU „giftiger“ werde, doch mit etwas gutem Willen könne man die US-Position noch als harte, aber nomale Verhandlungstaktik werten.

Doch es gibt weitere Beispiele für die neue US-Haltung – wie etwa das zwischen den USA und Chile im Herbst 2002 abgeschlossene Freihandelsabkommen. Auf bilateraler Ebene haben sich die USA dabei Möglichkeiten einräumen lassen, die sie im Rahmen der WTO nicht hätten durchsetzen können. Dazu gehört die nahezu unbeschränkte Freiheit für Kapitalimporte nach Chile und Exporte in die USA. Der Ökonom Jagdish Bhagwati von der New Yorker Columbia-Universität kritisiert dieses Vorgehen als Verstoß gegen die Politik des IWF. Er warnt, dass die völlige Abwesenheit von Beschränkungen des Kapitalverkehrs und der so mögliche schnelle Export großer Devisenmengen einen Finanzmarkt wie Chile im Handumdrehen in eine Krise stürzen könnten.

Der Ökonom Lúcio Vinhas de Souza vom Kieler Institut für Weltwirtschaft meint jedoch nicht, dass die USA im Moment bevorzugt auf bilaterale Abkommen setzen würden. Die USA, so argumentiert er, hätten gerne ein umfassendes Freihandelsabkommen mit den Ländern Mittel- und Südamerikas abgeschlossen. Da dies jedoch seit Jahren am Widerstand des Südens scheitere, suche die US-Regierung nun eben Kooperationspartner auf bilateraler Ebene.

Bei der Welthandelskonferenz im mexikanischen Cancun im Herbst wird sich zeigen, ob der Multilateralismus auf ökonomischem Gebiet noch Priorität genießt. HWWA-Direktor Straubhaar ist skeptisch: „Der Unilateralismus ist ein schleichendes Gift.“ Welche nachteiligen Folgen er für den weltweiten Handel habe, sei noch völlig unklar.

HANNES KOCH