: Heintje und seine Basisstation
Ein schnurloses Telefon vergewaltigt eine unbescholtene Familie. Eine Gerätetragödie
Wir sind es selbst schuld! Denn wir haben es wieder getan! Dabei hatten wir zu Nikolaus doch einen heiligen Schwur geleistet: Keine neuen technischen Geräte sollten mehr über unsere Schwelle kommen. Damals hatte ein nagelneuer, nicht herunterdimmbarer Radiowecker unser Schlafzimmer durch sein bläuliches Leuchten in eine nächtliche Araltankstelle verwandelt und sich auch sonst mit allen Tricks gegen die Benutzung gesträubt. Und musste wieder raus (siehe Die Wahrheit vom 10. Dezember 2003).
Aber, ach, zu Weihnachten bereits sind wir unserem Gelübde untreu geworden: Ich schenkte meiner Frau einen Scanner, sie eignete mir einen drahtlosen Kopfhörer zu, mit dem ich ungestört und geräuschlos fernsehen können sollte. Die logische Folge unseres Rückfalls: Am 27. Dezember standen beide Geschenke wieder in der Originalverpackung im Flur, bereit zum Abtransport zwecks Reklamation. Der Scanner hatte sich trotz dreitägiger geduldigster Versuche und ungeachtet hilfsbereiter Interventionen von technikbegeisterten Freunden und Verwandten und dem Herunterladen neuer Treiber aus dem Netz nicht installieren lassen – „Gerätefehler“ meldete er beharrlich.
Der Kopfhörer hingegen flog bereits am ersten Weihnachtstag zuerst in die Ecke und dann zurück in den Karton. Er hatte stets nur ein diffuses Rauschen und Piepsen von sich gegeben, für welchen Fall die Gebrauchsanleitung den brillanten Ratschlag erteilte: „Stellen Sie einfach den Fernseher lauter“. Haben wir gemacht – und tatsächlich: Das Piepsen war überhaupt nicht mehr zu hören, weil es zuerst vom Fernseher und dann vom Klopfen der Nachbarn übertönt wurde. Super Sache – und das Beste: Es funktioniert auch ohne Kopfhörer.
Und nun ist der nächste elektronische Mitbewohner da. Wir haben ihn Heintje getauft – weil er immer so süß nach seiner Mama ruft. Er nennt sie possierlicherweise „Basisstation“. Im Handbuch (Band 4, Seite 456) unseres neuen „Schnurlosen DECT-Telefons mit zusätzlichem Multilink-Set, Model MD 5909“ ist das rührend erklärt: „Das Mobilteil sucht die Basisstation. Es meldet sich automatisch an der Basisstation an, dieser Vorgang wird mit einem Signalton angezeigt.“ Klingt irgendwie nach E.T., die Geschichte.
Und weil unser Heintje noch ganz klein ist, verlangt er so regelmäßig nach Mama Basisstation wie ein Neugeborenes. Genauer: jede Stunde. Will sagen: Unser neues Telefon gibt zu jeder vollen Stunde und manchmal auch zwischendurch einen deutlich vernehmbaren Kontaktruf von sich: Pi-li-piiep. Dabei ist ihm übrigens komplett pillepalle, dass er sich seit der Aufnahme in unseren Haushalt ununterbrochen und in vorbildlicher embryonaler Grundstellung im Schoße ebenjener Basisstation befindet. Er erkennt sie offenbar nicht – da geht es ihm wohl so wie mir mal als Kleinkind: Da hatte ich seinerzeit 40,7 Grad Fieber und schrie delirierend nach meiner Mutter, auf deren Arm ich mich befand.
Nun weiß jeder, der Kinder hat, dass die häufigen Kontaktrufe durchaus herzerwärmend und beziehungsstiftend sein können – solange sie tagsüber stattfinden. Nachts um zwei und morgens um fünf hingegen sieht das schon anders aus. Da nimmt man das Pi-li-piiep unseres kleinen DECTi eher als besserwisserische Dreistigkeit wahr: „Herr Lehrer, Herr Lehrer, ich weiß was: Es ist jetzt zwei Uhr morgens, und alle schlafen.“ Tun sie eben nicht, du blödes Multilink-Piepsding!
Was also tun? Das Handbuch weiß Rat: „Um das Mobilteil auszuschalten, drücken Sie die OK-Taste für 3 Sekunden.“ Kein Pi-li-piiep mehr, stimmt. Kleiner Nachteil jedoch: „Bei ausgeschaltetem Mobilteil kann kein Gespräch entgegengenommen oder geführt werden.“ Sehr clever: Dann können wir also nicht mehr telefonieren! Das ist irgendwie auch keine Lösung. Die Hotline empfiehlt die Taste „RESET“. Hmmm. Dadurch verschwinden zwar alle gespeicherten Nummern und der Anrufbeantwortertext, nicht aber das Pi-li-piiep.
Lieber alttestamentarischer Gott der Technik: Gibt es nicht einen ganz fetten RESET-Knopf irgendwo im großen Weltsicherungskasten, der den ganzen technischen Plunder hier auf Erden mal auf null stellt?
OLIVER THOMAS DOMZALSKI